Forever in Berlin
einigen, dass wir uns nicht einigen können? Aber dazu schien ihre Mutter nicht bereit.
»Ich meine ja nur, mein Liebling. Du mit Deinem Einserabschluss in Kulturwissenschaften. Kochst Kaffee.«
Lilly beschloss, die Diskussion einfach tot zu schweigen. Wie ihr Vater, der immer so tat, als ginge ihn das gar nichts an.
»Also gut«, lenkte ihre Mutter nun großmütig ein. »Habt ihr denn Erfolg mit eurem ... ähm ... Unternehmen?«
Diese Frage hatte ihre Mutter ja noch nie gestellt, wunderte sich Lilly. Roch sie etwa, dass etwas nicht stimmte? Weil Lilly ganz überraschend außerhalb der Pflichttermine Weihnachten, Ostern und Sommerfest plötzlich zu Hause auftauchte?
»Bis jetzt schon«, antwortete Lil zaghaft. Sie hasste nichts mehr als Lügen.
»Das klingt nach einem Satz, der mit ‚aber’ weiter geht«, bohrte die Mutter weiter.
Lilly beschloss, tapfer zu sein und ihre Frau zu stehen.
»Aber wir haben gerade Konkurrenz bekommen.«
Jetzt klinkte sich auch ihr Vater in das Gespräch ein. »Konkurrenz?«
»Genau neben uns macht die Filiale einer großen Kette auf, die dasselbe Bio-Konzept hat wie wir. Wahrscheinlich hat sie es sogar von uns geklaut.«
Zum ersten Mal am heutigen Mittag zeichnete sich mehr als ein schmallippiges Lächeln im Gesicht von Lillys Mutter ab. »Aber das ist doch nicht so schlimm, mein Liebling. Im Ernstfall, wenn Euer Café nicht mehr rentabel sein sollte, kannst du immer auf Deinen Einserabschluss zurückgreifen und endlich ins Kulturmanagement wechseln.«
Es fiel Lilly unendlich schwer, darauf nicht einzugehen. Sie verbrachte das restliche Mittagessen in einer Art Trance, während ihr Vater eine Jagdgeschichte nach der anderen preisgab. Aber innerlich nagte dieser Gedanke, den ihre Mutter in ihrem Gehirn freigesetzt hatte: Vielleicht sollte sie das Café wirklich aufgeben? Und endlich irgendwo bei einer Kulturstiftung oder einem Tourismusverband anheuern? Aber wollte sie dort wirklich mit ihrem Leben hin? Wo wollte sie eigentlich mit ihrem Leben hin? Wieso war das Leben mit 28 doch so kompliziert?
Nach dem Dessert stand sie auf und machte einen Spaziergang in die Pferdeställe. Nachdem sie ausführlich alle vier Pferde begrüßt hatte, ließ sie sich auf einen der Strohballen an der Tür zum Stall sinken. Es war so unglaublich ruhig hier drin, empfand sie. Nur die Pferde machten ab und an ein schabendes oder schnaubendes Geräusch. Aber abgesehen davon war es einfach wunderbar friedlich. Es duftete nach warmen Tieren und frischem Stroh.
Hier war die Welt noch in Ordnung, dachte sie. Im Gegensatz zu Berlin.
Tief innen drin vermisste sie Chris. Obwohl das natürlich völlig irrsinnig war, nach all dem, was er ihr angetan hatte. Aber es war einfach so. Sie vermisste seine dunkle Stimme. Seinen Wortwitz, der zu manch einem charmanten Schlagabtausch zwischen ihnen geführt hatte. Seine Hände auf ihrem Körper.
Lilly schüttelte sich, um aus dieser romantisierenden Gedankenwelt herauszukommen. Schließlich war an der Tatsache, dass Chris – Chris! – das Konkurrenzcafé nebenan eröffnen wollte, ganz und gar nichts romantisch. Es war einfach nur mies. Perfide. Hinterhältig. Und wieder landeten ihre Gedanken da, wo sie schon die letzten Tage immer geendet hatten: Wie hatte sie nur auf diesen Mann hereinfallen können? Blind in die Falle tappen? Irgendwie machte Lilly sich für den Niedergang des Café Solo verantwortlich. Wenn sie es nur früher bemerkt hätte, dass Chris nicht der Chris ist, für den sie ihn gehalten hatte. Wenn sie nur nicht so verdammt verliebt gewesen wäre. So schrecklich erpicht darauf, endlich einen ordentlichen Mann ...
»Lillylein!« Plötzlich stand Frau Behringer vor ihr. Sie hatte ihre Küchenschürze noch umgebunden, trug aber jetzt eine selbstgestrickte Jacke in Babyrosa über ihrer Kochmontur. Lilly hatte sie gar nicht in den Stall kommen hören. Frau Behringer setzte sich ächzend neben sie auf den Strohballen, holte ein Tupperdöschen aus ihrer Schürzentasche, öffnete es und hielt es Lilly unter die Nase. Es duftete köstlich.
»Der Rest vom Kuchenteig für die Donauwellen später.«
Lilly steckte den Finger tief in die weiß-braune Teigmasse und schleckte ihn genüsslich ab.
»Ach, Frau Behringer. Was soll ich nur ohne Sie machen?«
Die ältere Dame lächelte. »Ich finde, Du machst das ganz prima ohne mich. Dort in dem fernen Berlin.«
»Die Meinung haben Sie in diesem Haus hier aber ganz für sich alleine. Meine Mutter ist
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