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Forgotten

Forgotten

Titel: Forgotten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cat Patrick
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Aufzeichnungen zufolge, schon so lange beschäftigt. Da ist er also: der Augenblick der Wahrheit. Aus unerfindlichen Gründen sehe ich zur Uhr an der Wand. Dann rutsche ich in meinem Sessel hin und her und kauere mich ganz klein zusammen. Ich hole einmal tief Luft, bevor ich sage:
    »Mom, ich erinnere mich an Jonas’ Beerdigung.«
    *
    Verfasst am 19. Feb; jeden Abend zu Aufzeichnungen hinzufügen!
    Heute Morgen bin ich aufgewacht und habe mich an etwas erinnert, was mich bestimmt mein ganzes restliches Leben lang verfolgen wird. Eine Beerdigung – die von meinem Bruder Jonas. Das ist die einzige Vergangenheitserinnerung, die ich habe.
    Mom hat mir die Sache jahrelang verschwiegen. Weil sie mich beschützen wollte, sagt sie. Es fällt mir ziemlich schwer, ihr nicht böse zu sein deswegen, aber ich versuche mein Bestes. Sie hat einfach gedacht, dass die Sache mit meinem verlorenen Gedächtnis schon hart genug für mich sei, auch ohne den Schmerz und die Trauer wegen Jonas. Sie muss jeden Tag damit leben und wollte nicht, dass ich es auch muss.
    Mom war nicht dabei, als es passiert ist, aber sie hat es mir erzählt. Jonas und ich waren mit Dad unterwegs. Ich war sechs und Jonas zwei. Wir waren beim Einkaufen, und Dad ist losgegangen, um einen Einkaufswagen zu holen. Er hat uns zwei Minuten im Auto allein gelassen. Er ist nur kurz über den Parkplatz, und als er zurückkam, war Jonas weg.
    Dad hat Mom gesagt, dass ich irgendwas von einem Van geschrien und auf einen Wagen gezeigt habe, der gerade vom Parkplatz fuhr. Dad ist ins Auto gesprungen und hat ihn verfolgt. Er hat das einzig Richtige getan, meint Mom. Nach ein paar Blocks ist der Van dann über eine rote Ampel gefahren, und Dad hat Gas gegeben, um ihn nicht zu verlieren. Es gab einen Unfall. Unser Auto war danach nur noch ein Schrotthaufen, sagt Mom, und ich wurde schwer verletzt. Ich habe im Koma gelegen, und eines Morgens um vier Uhr dreiunddreißig ist mein Herz kurz stehen geblieben. Die Ärzte haben mich wiederbelebt, aber Mom glaubt, dass das der Grund ist, weshalb mein Gedächtnis jede Nacht um diese Zeit gelöscht wird.
    Danach war meine Erinnerung weg. Ich konnte mich nicht an den Unfall erinnern. Ich konnte mich nicht an Jonas erinnern. Und ich konnte mir nichts mehr merken.
    Mom hat Dad dann rausgeworfen. Sie hat ihm die Schuld dafür gegeben, dass Jonas entführt wurde und ich fast gestorben wäre. Wahrscheinlich hat er sich selbst auch die Schuld gegeben.
    Ich habe Mom wegen der Geburtstagskarten von Dad gefragt, die ich letzten Herbst in einem Umschlag in ihrem Schreibtisch gefunden habe. Sie war ein bisschen sauer, weil ich in ihren Sachen herumgeschnüffelt habe, aber schließlich hat sie mir gebeichtet, dass Dad tatsächlich drei Mal versucht hat, mit mir Kontakt aufzunehmen, und dass sie ihm jedes Mal gesagt hat, er soll uns in Ruhe lassen. Sie hat gemeint, dass sie damals sehr verbittert war. Jetzt ist sie nur noch traurig. Vielleicht sollte Mom mal wieder mit Dad reden. Und ich auch. Vielleicht.
    Zwei Jahre nach der Entführung hat die Polizei Jonas’ verweste Leiche und ein paar von seinen Kleidern in den Bergen westlich der Stadt gefunden. Danach haben wir ihn beerdigt. Das ist die Beerdigung, an die ich mich erinnere.
    Ich schreibe das alles auf, damit ich es abends immer zu meinen Notizen legen kann. Ich weiß, dass es schwer werden wird, es jeden Morgen zu lesen, aber es ist wichtig. Das bin ich Jonas schuldig.
    Ich bin es meinem Bruder schuldig, mich an ihn zu erinnern.

36
    Eigentlich ist es ein wunderschöner Apriltag.
    Morgen ist Montag, das Wochenende war bisher ganz okay (sagen meine Notizen).
    Ich sitze auf einem Drehstuhl am Glastisch auf der Terrasse und trinke einen Latte Macchiato, den meine Mom mir einfach so gemacht hat, ohne dass ich sie darum gebeten hätte. Die Sonne steht auf der anderen Seite des Hauses, ich sitze im Schatten, und eine laue Brise zerstrubbelt mir die ungekämmten Haare. Ich bin noch im Schlafanzug – ein altes T-Shirt und Shorts – und habe bequeme Slipper aus Fleece an den Füßen, die schon ziemlich ausgelatscht sind, obwohl ich mich nicht daran erinnern kann, sie jemals getragen zu haben.
    Ich habe gerade einen köstlichen getoasteten Bagel mit Frischkäse aufgegessen und einen dicken Stapel Notizen über einen unglaublichen Jungen namens Luke durchgelesen, mit dem ich offenbar seit einem halben Jahr zusammen bin. Der Tag ist einfach zu schön, um sich darüber zu ärgern, dass ich mich nicht

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