Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
einmal Geld, um eine Information zu bezahlen. Was hatten sie
sonst anzubieten? Und war so eine Kontaktaufnahme unverbindlich? Oder machte
man sich schon damit in irgendeiner Weise zahlungspflichtig? Die Etikette in
solchen Kreisen war auch etwas, wovon er keine Ahnung hatte, und das würden die
auch sofort bemerken. Und nicht zuletzt: Konnte er es riskieren, es sich mit
Montagu wegen der Pelektá zu verderben? Was zum Teufel sollte er tun?
Darüber schlafen. Und dann mit jemandem reden, mit
Stanwell vielleicht. Wenn Halfast, der seine erste Wahl gewesen wäre, sich
weiterhin in sein Schweigen zurückzog.
Zum zweiten Mal an diesem Abend zog er sein Notizbuch
aus dem Hemd und öffnete es. Als er das Datum auf die erste Seite geschrieben
hatte – den sechsten September 2011 – fühlte er, wie allein davon schon eine
Erleichterung ausging. Der Impuls, der ihn seine paar Chaval in Schreibzeug
hatte anlegen lassen, war richtig gewesen. Wie ihm die Tage schon durch die
Finger glitten, mit ihrem gleichförmigen Rhythmus von Essen, Fahren, Auf- und
Abbau, Essen und Schlafen. Er war schon dabei, sich an das Peregrini-Leben in
Salkurning zu gewöhnen. Vermutlich funktionierte der menschliche Geist eben so,
wenn er gesund bleiben wollte. Trotzdem musste er dieser Gewöhnung etwas
entgegensetzen, sonst würden sie nicht mehr von hier wegkommen. Im Moment konnte
er nicht mehr tun, als ihre Reise zu dokumentieren. Also listete er die
bisherigen Stationen auf, mit Namen und Daten und einigen Stichworten, die ihm
dazu noch einfielen. Rhondaport – Windywatt – Kantabre – Skandrosi – Fendurnen.
Zu blöd, dass man Pix’ Handy nicht mehr für Fotos nutzen konnte! Aber
vielleicht konnte er …
„Wow! Das sieht ja super aus!“
James zuckte zusammen. Carminos Stimme hatte ihn aus
einer Versunkenheit gerissen, die schon mehr eine Trance gewesen sein musste.
„Du hast echt Talent, weißt du das!“ Carmino setzte
sich neben ihn und glotzte ungeniert auf die Seiten. Und so verrückt es war,
erst jetzt wurde James bewusst, dass er gezeichnet hatte. Klar, er hatte ein
bisschen gestrichelt hier und da und dann wieder ins Feuer gesehen und gegrübelt
und noch ein bisschen gekritzelt, aber das hier …? Er war beinahe so überrascht
wie Carmino, als er die Skizzen sah, die jetzt über mehrere Seiten verteilt
waren: Eine Ansicht von Fendurnen, von der Straße aus gesehen. Im Vordergrund
zwei der krüppligen Garnspinnerbäume, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Akazien
hatten. Im Hintergrund der Glockenturm, der über die Hausdächer hinausragte.
Die folgende Doppelseite zeigte den Cabbacubb, wie er durch die Luft auf
Carmino zu wirbelte, der mitten in einem Sprung festgehalten war. Die Szene war
so realistisch eingefangen, dass es ihm kalt über den Rücken lief. Er war mit
einer dritten Zeichnung beschäftigt gewesen, als Carmino ihn aufgeschreckt
hatte. Sie zeigte ihr Lager mit Wagen und Ponys und Feuer, genauso, wie es sich
gerade vor ihnen ausbreitete, mit Blick auf den Gilwisselwagen.
„Das verdammte Ding ist stumpf“, war alles, was ihm
einfiel. Er wedelte mit dem Kohlestift.
„Dafür wolltest du also das Heft. Voll cool – genauso
hat das Scheißding ausgesehen! Du brauchst nicht mal ’ne Kamera!“
Das musste der Auslöser gewesen sein – der Gedanke an
Pix’ Handy. Seit Jahren hatte er nicht mehr gezeichnet, seit seiner Kinderzeit
nicht, von ein paar Skizzen im Biologieunterricht mal abgesehen. Irgendwie
erschreckend, dass er es jetzt getan hatte, ohne richtig mit den Gedanken dabei
zu sein. Er hatte nicht mal gewusst, dass er das noch konnte.
„Aber ein Messer wär nicht schlecht – zum Spitzen,
meine ich.“ Gähnend reckte er sich. „Was machst du eigentlich hier draußen?“
„Musste mal pinkeln. Kann sowieso nicht schlafen.“
„Ist mit deinem Kopf alles okay?“
„Klar. Das ist nur ’ne Beule, sag ich doch. Wenn du
wüsstest, wie viele ich davon schon hatte! Gehört zum Training.“ Auch er gähnte
jetzt laut. „Scheiße, aber mein Fuß tut richtig weh. Was meinst du, kommen wir
hier wieder weg?“
James sah hastig auf, aber Stanwell und Lowell standen
schon wieder bei den Gilwisseln.
„Falls du Horgest suchst, der ist eben im Wagen
verschwunden – hat mich geweckt“, sagte Carmino. „Keiner hört zu. Also, was
meinst du? Kommt Inglewing noch?“
„Glaub schon.“
„Ich frag mich, ob die anderen uns wohl suchen.
Du weißt schon, wo. Ob wir in den Nachrichten sind. Mann, und ich krieg
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