Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
Lippen.
„Kennst du das, was die singen?“
„Diesen Treppenstufen-Quatsch? Nä. So ’n Kram hab ich
nie gemacht. Vielleicht gibt’s den speziellen Song bei uns gar nicht.“
Das war genau die Frage, die in seinem Kopf wummerte.
Jedenfalls nachdem die erste nun geklärt war: Er hatte sich nicht verhört. Auch
keine Halluzination gehabt. Oder einen psychotischen Schub. Wenn er es genau
bedachte, wäre ihm das vielleicht lieber gewesen.
„… mit blassen Augen wachen sie …“, sangen die
Mädchen ungerührt.
„Nä!“, bekräftigte Pix noch einmal. „Den gibt’s bei
uns bestimmt nicht. Der wär mir aufgefallen. Der ist ja total abartig.“
Woher hatte Adrian ihn dann gekannt?!
„Bist du sicher, dass du nicht kotzen musst? Weil ich
dann nämlich lieber vorgewarnt wäre. Ich hasse das.“
„Was hasst du, Frida?“ Carmino tänzelte wieder heran
und blieb vor ihnen stehen.
„Zisch ab, Spacko. Geh spielen.“
Und wieder von vorne. Ein bizarrer kleiner Vers ohne
jeden Sinn, der direkt aus einer schlammigen Untiefe seines Gehirns zu stammen
schien. Das war es: Etwas mitten in dieser Fremde hier meinte plötzlich genau ihn – versenkte den Haken in ihm und zog .
„Carmino – kennst du das Lied da? Hast du das schon
mal gehört – drüben?“
„… schlafen nie … mit blassen Augen wachen
sie … sehn dem Fuß zu, der – “
„Nee. Aber die Kleine da, die springt gut, findet ihr
nicht auch? Das ist gar nicht so –“
„Wollt ihr euch jetzt über beschissene
Hüpfkästchen-Reime unterhalten? Ey, ich kann’s echt nicht fassen, seid ihr
eigentlich beide durchgeknallt? Ist euch klar, wo wir sind? Was für
Scheiß-Probleme wir am Hals haben?! Oder träum ich diesen ganzen Mist einfach
nur? Oder was?!“
„Da kommt Jakobe“, bemerkte Carmino. „Auf der Suche
nach Opfern. Eindeutig.“
Ich wusste es! Das ist ein Todeslied! Wenn man es
hört, ist einer tot … und die kommt jetzt, um mir zu sagen, dass Kriope
gestorben ist!
„Was macht ihr hier? Nella und Odette suchen dich,
Pix! Jemand muss auf den Kleinen von Kriope aufpassen!“ Das war es, was Jakobe
dann wirklich sagte. „Und euch beide brauche ich! Ihr müsst mir bei den
Kulissen zur Hand gehen.“
Das klang nicht so, als käme sie von einem Sterbebett.
Langsam entspannte er sich ein wenig. Was ihm fehlte, waren zehn Stunden guter
Schlaf. Todeslied! So ein Quatsch. Und vermutlich gab es diesen Reim drüben
eben doch. Das war die einfachste Erklärung, und die war meistens auch die
richtige.
Er blickte auf in Jakobes rundes Gesicht, und die
Erleichterung bewirkte, dass er auf einmal alles viel schärfer und klarer sah.
Wie stumpf ihre bräunliche Haut war … er sah die Poren auf ihrer kräftigen Nase
und die winzigen Runzeln in ihren Lippen. Ihr Mund war überraschend schön, mit
festen, deutlich geschwungenen Konturen. Und der zuversichtliche, resolute
Ausdruck in ihren tiefliegenden, runden Augen, der war eine Täuschung – immer,
nicht nur in diesem Moment. Eine Tarnung war das. Fragte sich nur, wofür.
„Was ist mit Kriope? Du wolltest doch bei ihr
bleiben.“
Beißende, spöttische Herablassung vertiefte die Fältchen
in ihren Augenwinkeln. „Die schläft. Davor hat sie Suppe gegessen. Der geht’s
gar nicht so schlecht. Kein Grund zur Besorgnis, Hakemi. Auf jeden Fall hast du
Zeit, mir hinter den Kulissen zu helfen.“
„Und ich soll da mit dem Gör rumhängen?“, beschwerte
sich Pix. „Während ihr hier abfeiert und alles?! Mach ich nicht! Keine Chance!“
„Es geht auch um Orla. Sie darf bei der Vorstellung
nicht dabei sein. So was regt sie immer schrecklich auf, die arme Kleine, und
dann regt sich Odette auf – und du weißt ja schon, wie das ist.“
„Dann soll die doch bei der bleiben. Ich jedenfalls –“
„Wir sind eine Gemeinschaft, Pix! Du willst den Schutz
der Truppe, du willst mitessen, mitfahren, in unserem Wagen schlafen. Du musst
dafür nicht bezahlen. Aber deinen Teil musst du schon beitragen.“ Jakobe
fixierte sie mit einem langen, ernsten Blick, unter dem Pix sich wütend wand.
James konnte das Gebrodel ihrer Gefühle geradezu hören. Sie war wütend, aber
sie hatte auch Angst, weil sogar ihr klar war, wie aufgeschmissen sie ohne den
Schutz dieser Gemeinschaft sein würde. Schließlich stand sie auf. „Fick dich!“,
hörte man sie im Abgang noch murmeln.
„Hat sie keine Mutter, die ihr beigebracht hat, wie
man sich benimmt?“
Carmino kicherte.
„Was ist nun mit den Kulissen? Was
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