Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
hinunter. „Die
Schuhe muss ich unbedingt –“
„Morgen!“
„Aber –“
„Nichts aber. Komm schon. Weg mit dem Zeug!“
Sekundenlang sahen sie einander an. Er schüttelte den
Kopf. „Also gut. Frechheit siegt!“
Unter ihren ungenierten Blicken zog er sich aus, warf
die Sachen auf den Boden und wandte sich ihr schließlich mit herausforderndem
Blick zu. „Zufrieden?“
Er war mager, nicht gerade der athletische Typ, mit
eckigen Schultern und knochigen Knien. Im Licht des Leuchters konnte sie sehen,
dass die Sommersprossen Brust und Bauch so dicht bedeckten wie Schultern und
Rücken. Nur die Innenseiten seiner Oberarme und Oberschenkel und der Hintern
schienen frei davon zu sein, sie waren von einem nackten verletzlichen Weiß. Er
war ein seltenes, geflecktes Tier.
„Kate! Du kannst mich doch nicht so anstarren!“
„Du gefällst mir.“
So viel er sonst auch reden konnte, zu diesem Spiel
hier schienen Worte für ihn nicht dazu zu gehören. Aber in dem wuchtigen Bett
stellte sich heraus, dass er sich durchaus auf die langsameren Gangarten
verstand.
Er blieb auch wortkarg, als sie entspannt
nebeneinander unter dem blauen Stoffdach lagen, aber da war ein starkes Gefühl
von Nähe und Harmonie zwischen ihnen, und sie war sicher, dass er das auch so
empfand. Dieser Frieden zwischen ihnen war so neu und fühlte sich so gut an,
dass sie ihn ganz bestimmt nicht mit Reden verderben wollte.
Lang nach Mitternacht machten sie sich noch über den
Korb mit den Vorräten her, und da entdeckte sie ein Glas mit getrockneten
Tomaten zwischen Käse und Paprikaschoten, das sie jedenfalls nicht
besorgt hatte. Sie begriff, dass es ein Geschenk war, genau wie das grüne Tuch.
Er musste es noch am Morgen in Parrot’s Fork gekauft haben.
Sie tranken den längst kalt gewordenen Tee und liebten
sich schließlich in träger Übermüdung noch einmal, langsam, dicht aneinandergeschmiegt,
mit sparsamsten Bewegungen, Mund an Mund, bis sie das Gefühl hatte, dass er
durch ihre Haut in sie hineingeschmolzen war.
„Kate“, flüsterte er. „Katiekate!“
Irgendwann in der Nacht stand sie auf und nahm den
Deckel von dem Fensterloch weg. Der Wind bewegte das feine Gelichternetz, das
die Öffnung überspannte, und streifte kühl ihr Gesicht. Sie sah zum Bett hin,
dessen Vorhänge zurückgezogen waren. Da lag er schlafend, nackt und ziemlich
schön. Noch ein Nachtgesicht von Dorian, eins voller Stille.
Jeder Mensch hatte seine Nachtgesichter, und manchmal
waren sie völlig anders als seine Alltagsgesichter. Es war verlockend, sie
aufzuspüren, ihnen aufzulauern … sie waren so etwas wie die Fremde im Menschen.
Und wie in der Fremde draußen konnte man sich auch in ihnen verirren und
verloren gehen. Aber sie war so neugierig darauf. Darauf, wie andere Menschen
ihr Leben erlebten. Welche Welt sie sahen, wenn sie die Augen öffneten – und
wenn sie sie schlossen. Unwiderstehlich war das, auch dann noch, wenn ihr Verstand
sie warnte. Manchmal kam sie sich vor wie ein Parasit, der sich durch die Haut
seines Wirts drängt und sich ein Stückchen Leben von dessen Leben einverleibt.
Mehr als das Stückchen wollte sie nicht, mehr konnte
sie gar nicht vertragen. Schließlich wollte sie noch weiter.
23. Die Dämonen, die uns
jagen
1
Es
war kaum richtig Tag, am Feuer gerade hell genug, um mit der Körnerstampferei
anzufangen. Pix hockte lustlos auf ihrem Holzklotz, aber dieses eine Mal war
sie lieber hier draußen als im Wagen. Jakobe hatte sich die halbe Nacht neben
ihr herumgewälzt und im Schlaf gejammert, bis man sie am liebsten mit ihrem
Kissen erstickt hätte. Und dazu der penetrante Kräutergestank … nä, dann lieber
raus. Zumal sie ja jetzt auch dieses Riesennetz hatten, unter dem alle Wagen
Platz fanden. Das würde die Biester schon abhalten, falls sie zurückkamen.
Komisch, wie man abstumpfte. Obwohl noch nicht einmal
ihre Nase wieder verheilt war, hatte sie seit der Cabbacubb-Sache angefangen,
sich an die ständige Bedrohung zu gewöhnen. Man suchte wie ein Schaf den Schutz
der anderen, des umzäunten Lagers und des Feuers. Man verkroch sich, wenn sich
die anderen verkrochen, und atmete auf, wenn sie es auch taten. War ganz
einfach. Man musste nur aufhören, über irgendwas nachzudenken.
Mit schlafverquollenen Augen sah sie zu, wie Nella mit
dem Steinstampfer Getreidekörner zerquetschte, und tat hin und wieder
halbherzig so, als versuche sie es ihr nachzumachen. Außer ihnen hantierte auch
die Alte hier am
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