Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
helfen! Hatten ihre
Eltern, die Klassenlehrerin und die Direktorin nicht alles getan, um die Sache
in Ordnung zu bringen? Das Wenders-Miststück war verwarnt worden, der Blog
gelöscht, dafür hatte ihr Vater, der Anwalt, gesorgt. Und dann gab es die
Labervorträge über Cybermobbing, an denen alle teilnehmen mussten.
Pix ging nicht hin. Sie ging einfach überhaupt nicht
mehr zur Schule. Es war atemberaubend, wie einfach alles wurde, wenn man nur
Nein sagte und dabei blieb. Sie war ja auch niemand mehr. Es gab sie eigentlich
gar nicht, denn Frida, die peinliche Kuh, war so tot wie ein Haufen
Affenscheiße. So tot wie ihre Pläne. Und ihre Träume auch, weil jeder die
schwarz auf weiß gelesen hatte.
Was die nicht kapierten war, dass der Schaden
angerichtet war und sie daran nichts ändern konnten. Keiner konnte das, denn
sie alle hatten den Scheiß gelesen, sogar die Eltern und die Lehrer. Die Worte
waren losgelassen worden und überall angekommen. Alle lachten über sie – und
vermutlich am allermeisten darüber, dass sie selbst die Letzte gewesen war, die
etwas von diesem Blog mitgekriegt hatte. Fuck, und sie hatte diese Schweine
noch zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen, total ahnungslos, dass die sich da
schon jeden Nachmittag blau lachten über sie! Man konnte ja auch nur drüber
lachen! Zu reparieren gab’s da jedenfalls nichts mehr.
Sie radierte sich gründlich aus. Es war ja nicht so,
dass ihre Eltern sie von der Schule genommen hätten. Nä. Das war eine super
angesehene Schule, die unbedingt in ihrem Lebenslauf stehen musste, da ließ man
sich doch nicht durch einen dummen Teenagerstreich von abbringen! Deshalb
musste sie das selbst in die Hand nehmen. Nachdem sie die befreiende Wirkung
des F-Wortes entdeckt hatte, frischte sie ihre ganze Sprache in diese Richtung
auf. Auch mit den Kippen fing sie da erst an – es gab kaum was, was ihre Mutter
hysterischer machte, als wenn sie sie qualmen sah. Außer vielleicht eine Bier-
oder Wodkafahne und glasige Augen. Das alles kriegte sie schon deshalb ganz
schnell hin, weil es das Leben so viel angenehmer machte. Und auch Make-up
machte richtig Spaß, wenn die Vorgabe nicht war, wie ein glasiertes
Zuckertörtchen auszusehen. Da sie ja tot war, trug sie nur noch Schwarz und
färbte sich auch die Haare schwarz. Während die anderen alle mit Knatschbacke
Bella und ihren blassen Genossen in Twilight rumschmachteten, wurde sie
selbst eine Untote. Sie tat einfach nichts mehr. Sie gab Lehrern Antworten, die
sie sprachlos machten und ihr einen einwöchigen Schulausschluss eintrugen. Es
dauerte ein halbes Jahr, dann flog sie richtig von der Schule. Die Direktorin
hatte ernst an ihren Verstand, ihre Pflichten und ihr Gewissen appelliert. Sie
hatte geantwortet, dass sie auf die Ansichten einer verknöcherten alten Fotze
mit Mundgeruch scheiße. Und ihre Mutter hatte die schwärzesten Wochen ihres
bisherigen, erfolgsverwöhnten Lebens, als sie versuchte, eine andere
karriereförderliche Schule zu finden für das schwarz gekleidete, absurd
geschminkte, immer fetter werdende, Obszönitäten versprühende Wechselbalg, in
das sich ihre hoffnungsvolle Frida verwandelt hatte. Und klar, Annette Sterling
fand eine Schule, die einen einigermaßen akzeptablen Ruf hatte und es noch
einmal mit Frida versuchen wollte. Immerhin hatte sie ja noch nicht geklaut
oder gedealt. Und ihre Mutter erzwang einen Deal mit ihr: Handy, Internet und
Taschengeld gab es nur, wenn sie regelmäßig in die Schule ging und außerdem auch
noch einmal in der Woche zu dieser beschissenen Jugendgruppe. Dort versuchte
eine anstrengende Spießerbraut, auch Leute wie Frida Sterling in ihrer Gruppe
aus angepassten Langweilern unterzubringen und auf den rechten Weg
zurückzuführen. Und in der Gruppe von Alice Butler waren sogar noch zwei andere
aus Fridas Klasse dabei.
Tja, Pech für Annette und Richard, konnte man da nur
sagen. Ohne diese Gruppe wäre ihre Tochter jetzt noch in London gewesen!
„Was ist? Warum stöhnst du so?“, unterbrach Nella
ihren Gedankenstrom.
Als wenn es dafür nicht genug Gründe gegeben hätte!
Ein Schwarm großer, dunkler Vögel machte die Antwort erst mal überflüssig, als
er vom Fluss her über das Lager flog und sich dann kreischend in den Abgrund
jenseits der Straße stürzte.
„Ich glaub, das waren die ersten Vögel, die ich hier
in Orolo gesehen habe!“, sagte Nella. „Bestimmt haben die letzte Nacht diesen
Krach gemacht! Als ich Piro gestillt hab, da bin ich fast
Weitere Kostenlose Bücher