Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
ihrer bewegte. Dann entzog er
sie ihr und floh. Sie hörte ihn die Treppen hinuntergaloppieren. Da stand für
sie fest, dass sie die Nacht auf keinen Fall allein in diesem Prachtbett
verbringen würde.
8
So
gespenstisch war es erst mal nicht, obwohl die Straßen jetzt menschenleer
waren. Aber es gab Laternen in regelmäßigen Abständen, und auch Licht, das
durch die Ritzen der Fensterläden drang. Hier und da Stimmen, Gelächter hinter
Hauswänden und Mauern. Ein paar hundert Meter die Gasse entlang, dann stand sie
auf dem weiten, verlassenen Rund des Marktplatzes. Es gab Laternen, aber deren
Licht reichte nicht weit. In der Mitte undeutlich erkennbare Holzkonstruktionen
– ein Podest? Daneben ein Brunnen. In seiner Tiefe spiegelte sich der letzte
Rest von Licht in einem Punkt. Hier blieb sie stehen und lauschte, schnupperte
in die fremde Luft.
Der Wind ging durch die Schellenbäume und Standarten,
die den Platz einfassten; fremdartig kicherndes Geklingel, raschelndes
Geflüster von den kleinen Gegenständen, die in den Netzen der Fänger dort oben
befestigt waren, schwarze, bewegte Flecken vor dem schwärzlichen Dunkelgrau des
Himmels. Im Rhythmus des Windes anschwellendes und wieder abflauendes Sirren
von den Tierfiguren auf den Standarten. Aber unter all diesen Geräuschen war
noch etwas anderes. Sie schloss die Augen und lauschte mit allen Sinnen in die
Nacht.
Sie hatte von Infraschall gelesen, aber das hier war
keine Großstadt, hier gab es keine zig-stöckigen Gebäude aus Glas und Beton,
die sich mit Resonanz aufladen konnten. Nach den Maßstäben von drüben war
Fasmechora kaum mehr als ein Kuhdorf. Und doch war da etwas. Sie hätte nicht
sagen können, ob es Geräusch war oder ein Vibrieren. Eine Schwingung, ein Ton,
der zu tief war, um hörbar zu sein. Vielleicht war man hier ganz nah dran an
einer benachbarten Welt? Vielleicht gab es hier so ein Treibsandfeld im Fluidum
– eins, von dem Dorian ihr nichts hatte erzählen wollen?
Nachdenklich ging sie weiter, wachsam, aber nicht
ängstlich. Sie war schon in anderen üblen Gegenden nachts unterwegs gewesen,
und diese Gelichtersache – die erschien ihr doch zu verrückt, auch wenn sie die
Menschen hier offenbar vollkommen im Griff hatte. Eigentlich schade, dass sie
heute Abend den Kopf nicht frei hatte für diese Stadt.
Weil ihr ziemlich klar war, was Dorian noch zu erledigen
gedachte und wo, machte sie sich auf die Suche nach dem Honighaus von
Fasmechora. In den Orten des Deltas befanden sich diese Häuser immer in einer
Seitenstraße nicht weit vom Markt, deshalb folgte sie erst einmal der
Skorpiongasse, die rechtwinklig vom Markt abbog und dann eine halbe Meile
schnurgerade verlief, bis sie auf eine Treppe mündete. Auf der ganzen Strecke
war niemand zu sehen. Nur mehr Häuserblocks, leere Wäscheleinen, flackernd
illuminierte Fratzen, Holzläden vor den Fenstern und die Standarten mit den
Skorpionfiguren hoch oben vor dem Himmel. Fratzen befanden sich sogar an den
Seiten der Treppenstufen, in die die Gasse auslief. Sie ging hinauf und stand
auf der nächsten, wiederum rechtwinklig kreuzenden Straße. Irgendwo in den
unsichtbaren Innenhöfen der Gasse wurde jedenfalls eine Party gefeiert. Man
hörte laute Musik und Stimmenlärm. Und da war auch jemand unterwegs! Das musste
dann wohl der Gelichterjäger sein, andere Leute trauten sich hier ja nachts
nicht vor die Tür. Den würde sie nach dem Honighaus fragen.
Sie beschleunigte ihre Schritte, um den Mann
einzuholen. Als sich vor einer Hausfront plötzlich ein Schatten aus dem Dunkel
löste, wurde ihr doch etwas mulmig zumute. Sie hätte schwören können, dass da
vorher nichts gewesen war. Und es gab dort auch keine Tür, aus der jemand
unbemerkt heraustreten konnte. Der Schatten glitt neben sie, und sie wusste,
dass es zu spät war, um in ihren persönlichen Unsichtbarkeitsmodus
umzuschalten. Der Typ hatte sie gesehen und ging jetzt ganz bewusst neben ihr.
Aus dem Augenwinkel konnte sie nur sehen, dass er nicht besonders groß war und
einen spitzen Hut trug wie sie selbst. Noch ein Gelichterjäger?
„Hallo“, sagte sie. „Ich suche das –“
Irgendwas war auf den ersten Blick befremdend … aber
als die Gestalt ihr dann das Gesicht zuwandte und das Laternenlicht darauf
fiel, überzog sich ihr ganzer Körper schlagartig mit Gänsehaut. Da blickte sie
ihr eigenes Gesicht an, unter dem Karuleiru-Hut! Optische Täuschung oder ein
fieser Trick? Oder vielleicht sogar ein Gespenst?
Sie ging
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