Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)

als Anstandsdame hier hatte eintreten wollen.
    „Da ist er ja! Mal hören, was er dazu zu sagen hat!“
    „Wozu soll ich was sagen? Was ist los? Geht’s um
Horgest?“
    „Ja, deshalb kam ich hier rein! Und was entdeck ich
dann – in dieser Truhe da drüben?!“ Jakobe zitterte vor Wut, und die schien
ausgerechnet ihm zu gelten. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was los war
oder was sich in dieser Truhe befinden mochte. Er sah sich um. Außer Horgest,
der scheinbar schlafend auf seiner Pritsche lag, waren noch Stanwell, Juniper
und Carmino im Wagen, und Firn, der Jakobe unverschämt angrinste, aber das war
ja nichts Neues.
    „Die Misteln, James!“, schrie Jakobe. „Alle vierzehn
Misteln stecken da in eurer Truhe! Da waren einige dabei, die bestimmt zehn,
zwanzig Jahre alt waren, besonders wertvolle also! Und ich dachte, wir hätten
sie beim Brückenhaus liegengelassen! Stattdessen hast du sie hier versteckt!
Wolltest die ganze Summe allein kassieren, was?! Aber wir hatten was
ausgemacht, halbe-halbe hatten wir ausgemacht, und bilde dir nicht ein, dass
ich davon abgehe!“
    „Aber ich –“
    „Ja, jetzt guckst du wieder unschuldig, da bist du ja
ganz groß drin, aber mir machst du nichts vor, Hakemi !“ Das letzte Wort
spuckte sie ihm geradezu vor die Füße. „Und weißt du was, du wirst gar nichts
kriegen dafür, keinen einzigen Chaval, wenn du die Misteln weiter da in dieser
Truhe lagerst! Du Dummkopf! Man muss sie aufhängen, sonst verderben sie! Man
muss sie langsam an der Luft trocknen!“
    „Ein guter Rat, Jakobe!“, rief Firn. „Wir hängen sie
gleich morgen früh an Leinen quer durch den –“
    „Du hältst dich besser da raus, Firn! Das ist eine
Sache zwischen mir und diesem – diesem halbgaren Hakemi, diesem – Betrüger! Von
dem haltet ihr euch besser alle fern!“
    „Mir ist so heiß“, murmelte Horgest.
    „Ich bekomme die Hälfte der Misteln! Und die such ich
mir selbst aus! Morgen früh! Und ich gehe zum Chef deshalb, James. Das lass ich
nicht mit mir machen! Ich lass mich nicht übervorteilen! Von einem
dahergelaufenen Kramper noch dazu!“
    „Aber Jakobe, ich wollte dich doch gar nicht –“
    „Gib es auf, Mann“, sagte Firn. „Gib ihr den Plunder
morgen früh, und dann ist Ruhe. Dir bleibt immer noch die Hälfte.“
    „ Sikka , ich war das nicht!“, brüllte James.
„Ich hab gar nicht mehr an die Dinger gedacht!“
    „Und genau deshalb hab ich sie hier untergebracht“,
erwiderte Firn. „Wozu alles verschwenden, die bringen gutes Geld ein.“
    „ Du ? Du warst das?“, kläffte Jakobe und fuhr
wieder zu Firn herum. „Wieso sagst du das jetzt erst?“
    „Du hast ja nicht gefragt.“
    „Ah – kashadiu ! Du – du –“
    Firn lachte sie einfach aus und wandte sich wieder
seinem Kartenspiel zu. „Findest du nicht, dass du dich schon unschicklich lange
hier bei uns aufhältst?“, fragte er noch, während er eine Karte auf den Stapel
schnickte. „Wolltest wohl mal wieder ein paar junge Kerle –“
    „Firn!“, mahnte Stanwell. „Es reicht.“
    „Mir ist so schlecht“, murmelte Horgest.
    James hätte Jakobe die Misteln am liebsten in den Hals
gestopft, aber die waren ja auch eine Kapitalanlage. „Wir teilen sie morgen
früh auf“, sagte er also so besänftigend, wie er es hinkriegte. „Wie geht es
Horgest?“
    „Achhh – sieh ihn dir doch selbst an!“, zischte die
aufgebrachte Frau. Ihr Haar hatte sich aus dem Knoten gelöst, und in diesem
Moment, zornrot und mit funkelnden Augen, sah sie auf einmal beinahe jung aus.
Mit einem letzten wütenden Fauchen verließ sie den Gilwisselwagen.
     
    5
    All
diese langen, vollen, bizarren Tage! Er war so wach, wie man nur sein konnte.
An Schlaf war nicht zu denken, und im Gilwissler hielt er es schon überhaupt
nicht aus. So wanderte er unruhig zwischen den Wagen umher und machte die Hunde
verrückt. Der Donner grummelte ununterbrochen, und die Blitze eines fernen
Gewitters flackerten am östlichen Horizont. Über dem Gelichternetz tanzte ein
Schwarm kleiner, heller Motten, die dem Licht des Feuers nicht widerstehen
konnten, obwohl der Geruch von Garn und glimmender Palinte sie abstieß. Eine
schwindelnde Weile lang ging es James genauso, da wollte er wieder in die Tiefe
der Orolo-Nacht davonstürmen und jagen. Da war es wieder! Er hielt ganz still,
um das Gefühl nicht zu vertreiben – vielleicht würde er ja dann verstehen, wo
es herkam –
    Aber es ging so schnell vorbei, wie es gekommen war.
Trotzdem fühlte