Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
waren es, auf die James hier am meisten
gespannt war. Aber er wurde enttäuscht, sie waren ihm keine Hilfe bei der
Orientierung. Es waren einfach Bewohner einer ländlichen Gegend, die praktische
Kleidung in Sand- und Erdfarben trugen und dazu breitkrempige Hüte und
Kopftücher. Manchmal glaubte er, ein orientalisches Gesicht zu sehen, dann
wieder war er sicher, Menschen aus dem Mittelmeerraum vor sich zu haben – und
dann entdeckte er an der nächsten Ecke, auf dem nächsten Eselskarren wieder
Leute, die ebenso gut auf eine Landstraße in Cornwall oder York oder Connemara
gepasst hätten. Treibgut , ging es ihm durch den Kopf. Genau wie wir.
Das Fragen hatten sie drangegeben und sahen nur noch
schweigend hinaus. Er fühlte die Fremde jetzt wie eine Flut, die sie umspielte
und mit sich nehmen wollte.
Es war viertel nach drei auf James’ Uhr, als in der
Ferne die Stadt auftauchte. Zuerst braunrote Mauern und Türme, die sich
rechterhand auf Hügeln erhoben. Darunter war das Geglitzer eines breiten
Stromes zu erahnen. Eine mächtige, mit Häusern überbaute und von Türmen
flankierte Brücke überspannte das Wasser. Viele kleine Glasfenster blitzten in
der Sonne. Und dann erst kamen auch die Häuserzeilen auf ihrer Seite des
Flusses in Sicht: Kleine Häuser, dicht an dicht gebaut, schoben sich dort im
Halbkreis um den Brückenturm in die Ebene hinein.
„Jetzt seht nach rechts – wir fahren genau daran
vorbei! Seht ihr die Zinnen hinter den Gärten und dem Schilf? Das ist die
Scientia Salcurnica, die gute alte Sally. Sie liegt auf einer Insel im
Tabarnen.“
„Warum fahren wir dann weiter geradeaus?“
„Ich muss zuerst in die Unterstadt. Muss meine Sachen
von der Wäscherei abholen.“
„Und etwas zu essen!“
„Richtig. Und wo wir gerade von Kleidung reden …
James, in der Stadt kannst du nicht dieses Unterhemd da tragen und auch nicht
die komische Jacke. Ich glaube, ich hab noch irgendwo ein Hemd und auch eine
Weste – die müssten dir passen, wir sind ungefähr gleich groß. Sieh doch mal in
dem Kasten unter dem Tisch nach, wahrscheinlich sind die Sachen dadrin.“
James machte sich gehorsam daran, hinten im Wagen
herumzusuchen. In dem besagten Kasten lag ein Stapel Bücher voller Notizen und
Zettel – leider war es zu düster, um auch nur die Titel zu entziffern. Außerdem
fand er eine ziemlich große Taschenuhr an einer Kette, zwei Paar gestrickte
Socken und ein Paar schwarze, selbst hier im Dämmerlicht glänzende Schuhe,
schmal wie Damenpumps und mit Silberschnallen darauf.
„Und, hast du was gefunden?“, rief Inglewing von
vorne.
„So einiges, aber noch kein Hemd – Moment, doch, da
ist was. Könnte ein Hemd sein. Auf jeden Fall liegt die Weste darunter.“ Er
nahm das zusammengeknüllte weiße Etwas heraus, das unter einem in Leder
gebundenen Buch gelegen hatte, und schüttelte es aus – tatsächlich ein Hemd.
Nicht allzu begeistert tauschte er also sein graues T-Shirt gegen Hemd und
Weste – nur gut, dass seine schwarze Jeans offenbar genehm war! – und beeilte
sich wieder nach vorne zu kommen. Er wollte die Stadt sehen.
„Gut! So gehst du fast als Schüler durch! Ist nur
zerknittert, aber garantiert ungetragen“, sagte der Besitzer des Hemdes etwas
verlegen, als James sich wieder auf die Bank setzte. „Hast du zufällig auch
schwarze Schuhe in der Kiste gesehen?“
„Ja, und sie sahen sogar richtig gut geputzt aus.“
„Dann ist es ja gut. Dachte schon, ich hätte die
verloren“, murmelte Inglewing. „Deine Haare sind natürlich zu kurz – alle
Schüler müssen sie in einem Zopf tragen, mit der Spange in den Schulfarben …
macht aber nichts. Zopfabschneiden ist eine beliebte Schikane, kommt dauernd
vor.“
„Hast du auch was für mich?“, fragte Carmino.
„Das da war leider alles, was ich hier bei mir habe.
Ihr müsst erst mal im Wagen abwarten. Pix ist allerdings perfekt“, sagte er
lächelnd. „Sie würden dir nachstarren im Suq!“
Die drei anderen sahen ihn zweifelnd an. Das meinte er
ja wohl nicht ernst. Pix selbst war zu überrascht für eine zynische Antwort.
„Nur die Kette musst du abnehmen. Rhondaport ist stolz
darauf, eine saubere Stadt zu sein, und Michaelius duldet keine Gelichterjäger
hier. Außerdem machen das bei uns nur Männer.“
„Gelichterjäger?“, fragte Carmino ungläubig. „Soll das
so was wie ein Geisterjäger sein oder was?“
„Leise! Auch hier im Delta sollte man dieses Wort
nicht zu laut aussprechen … es ist, als ob du
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