Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
fest.
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Am
schlimmsten war ihr dritter Reisetag, nicht aufgrund äußerer Ereignisse,
sondern deshalb, weil seine Erschöpfung da den Zenit erreichte. Er kam morgens
kaum auf die Füße, vom ungewohnten Trinkwasser war ihm flau, und er hatte sechs
Stunden Treten vor sich, und das mit Firn – dem Kerl mit den Messern – der, wie
James schon festgestellt hatte, auf Neulinge keinerlei Rücksicht zu nehmen
gedachte. Prompt stieg auch noch der Weg steil an – steil genug, dass die
Gilwissel ihn mit den Wagen nur gerade eben noch bewältigen konnten, während
selbst die geübten Tretschlepperfahrer hart kämpfen mussten. Horgest war als
Anschieber im Dauereinsatz. Am späteren Vormittag ließen sie dann die
Pinienwälder unter sich zurück und quälten sich über einen Pfad durch nackten
Fels hinauf, während die Sonne auf sie herunterknallte. Spätestens da sah James
die Notwendigkeit der breitkrempigen dunklen Hüte und der Halstücher ein, mit
denen die Peregrini Kopf und Nacken schützten. In der Ausstattung der Fremden
waren die leider nicht mit inbegriffen gewesen. Also kämpfte er schweigend an
den verschiedenen Fronten und hielt sich mit der Vorstellung aufrecht, wie er
Inglewing, sollte er ihm jemals wieder begegnen, die Zähne einschlagen würde. Die
ganze verdammte Situation hier brachte eine gewaltbereite Seite in ihm ans
Licht, von der er bisher nichts geahnt hatte.
Nach der Mittagsrast wurde Firn von Stanwell abgelöst,
aber die Erleichterung, die blöden Sprüche endlich los zu sein, verging ihm
schnell. Firn holte nämlich die Trommel aus dem Gilwisselwagen und schlug von
da an direkt neben ihnen den Marschtakt, den er mit lärmenden Wirbeln und
Schlenkern verzierte, wann immer es ihm passte. Der Radau und die unverschämte
Miene des Kerls hätten einen Buddha zum Berserker gemacht. Erst als seine Tretschlepper-Schicht
zu Ende war und er zum Marschieren entlassen war, holte James wieder Luft,
jedenfalls kam es ihm so vor. Und viel besser wurde es dann auch nicht. Seine
Sneakers zeigten immer bedrohlichere Auflösungserscheinungen, und seine Füße
auch. Und ins Grübeln kam er auch noch. Wie konnte es sein, dass er Verwirrung
und Zweifel so schnell hinter sich gelassen und sich mit der neuen Situation
abgefunden hatte? Von heute auf morgen wurde alles anders, auf unerklärliche Weise anders – aber übermorgen fing man einfach an, sich damit zu arrangieren.
Er fragte nicht mehr, was hier eigentlich abging, was seine Familie jetzt wohl
durchmachte oder wie zum Teufel er der Chudderley seine Fehlzeiten erklären
sollte, wenn er jemals wieder in ihrer Station antreten würde. Selbst auf
Inglewing wartete er nicht länger, das wurde ihm im Verlauf dieses Nachmittags
klar. Alles, was ihn interessierte, war, am Abend lange genug wach zu bleiben,
um seinen leeren Magen zu füllen. Und danach zu schlafen, solange es irgend ging.
Aber bevor er dazu kam, war erst mal seine rechte
Schuhsohle durchgelaufen, und bis sie endlich einen Platz für das Nachtlager
gefunden hatten, ging es seiner Fußsohle nicht viel anders. Am späten
Nachmittag hatten sie wieder Pinienwald und dichte Macchia erreicht, und nun
öffnete sich neben dem Weg erstmals eine Lichtung im Gestrüpp, die wie gerodet
wirkte und sogar an einen Bach grenzte. Das dichte Unterholz umgab den Platz
wie eine Hecke.
Als die Ponys ausgespannt waren und das übliche Hin-
und Hergerenne mit Wasserholen, Feuermachen, Tiere-Füttern und Essenkochen
angefangen hatte, polterte ein anderer Wagen über den Weg, aus der Richtung, in
die sie am nächsten Morgen weiterziehen wollten. James, der sich gerade den
Topf mit der Gilwisselsalbe holen wollte, sah erstaunt auf, und dann wurde ihm
bewusst, dass dies seit Tagen ihre erste Begegnung mit anderen Menschen war.
Waren sie eigentlich noch auf der Flucht? Er blieb auf den Stufen des
Gilwisselwagens stehen und sah zu, wie der olivfarbene Wagen anhielt. Er war
kleiner als die meisten von ihren eigenen, und die Spätnachmittagssonne brachte
die knallroten Buchstaben auf der Seite zum Leuchten: Das hier war Gaetano
Pellicanos Bunte Funkenkunst , und demnach hatten sie wahrscheinlich einen
Kollegen vor sich. Die anderen schienen ihn zu kennen, aber obwohl einige von
ihnen dem Mann auf dem Kutschbock zuwinkten, war es doch allein Nicholas
Montagu, der jetzt über ihren Lagerplatz ging und Pellicano begrüßte. Das
verlangte offenbar die Etikette.
„Hoffentlich lädt der Chef ihn ein, mit uns zu
rasten“, sagte
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