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Formbar. Begabt

Formbar. Begabt

Titel: Formbar. Begabt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juna Benett
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Ich habe Viv weder eingeweiht, dass Jans Verletzungen von mir verursacht wurden, noch dass er über meine Fähigkeit Bescheid weiß. Obwohl ich ihr deutlich anmerke, dass sie an meiner Freitagnachmittagsgeschichte begründete Zweifel hat, formuliere ich nichts dergleichen. So wächst die Distanz zwischen uns kontinuierlich. Dazu kommt, dass sie wenig Zeit hat, weil sie jede freie Minute mit Till verbringt, der ihr am vergangenen Wochenende endlich seine Gefühle gestanden hat. Sie stehen in der Pause in enger Umarmung auf dem Hof, während ich mir wünsche, dass Jan endlich wieder in die Schule kommt, damit ich mich nicht mehr so einsam fühle. Ich bin hin- und hergerissen, am liebsten würde ich ihr alles erzählen. Aber wenn ich wirklich nichts auslassen will, muss ich auch erwähnen, dass ich mir illegalen Zutritt zum Krankenhaus verschafft habe – ein Detail, das ich für mich behalten möchte. Jans gebrochene Rippen sowie die Gehirnerschütterung müsste ich ebenfalls auf die Liste meiner Geständnisse setzen. Für diese Aktion würde Viv sicherlich Verständnis aufbringen können, da ich zu keiner Zeit vorhatte, ihn zu verletzen und es somit unbeabsichtigt geschah. Bei der Dame an der Rezeption sieht es ganz anders aus. Also verschanze ich mich hinter der Begründung, mit weiteren Konfrontationen Vivs Leben nur unnötig zu verkomplizieren und unsere Freundschaft aufs Spiel zu setzen. Manchmal glaube ich mir sogar selbst, dass dies der wahre Grund ist.
    Am Sonntag bleibe ich dem Krankenhaus fern, denn Jan wird von seinen Eltern abgeholt. Bisher hatte ich Glück und bin ihnen nicht begegnet, obwohl ich während der gesamten Besuchszeit an Jans Bett gesessen habe. Sonderlich spannend scheinen sie den Gesundheitszustand ihres Sohnes nicht zu finden, was mir ganz recht ist. Wer weiß, welche Fragen ich ansonsten beantworten müsste. Trotzdem bin ich froh über meine Eltern, die mir zwar mit ihrer besorgten Art häufig auf die Nerven gehen, dadurch aber auch zeigen, dass ich ihnen nicht gleichgültig bin. Jan scheint sich wenig an dem fehlenden Interesse seiner Eltern zu stören. Meine entsprechenden Fragen tut er mit einem Schulterzucken und der Erklärung »Finde ich nicht schlecht, so habe ich meinen Freiraum.« ab.
    Nachdem wir uns vier Tage am Stück jeweils mehrere Stunden gesehen haben, verordne ich mir selbst eine Pause und zwinge mich dazu, den Sonntag im trauten Familienkreis zu verbringen, womit ich meinen Eltern eine große Freude bereite. Simon ist über meine Anwesenheit beim nachmittäglichen Spaziergang weniger begeistert, aber das scheint eine normale Ausprägung geschwisterlicher Liebe zu sein. Wir verbringen einen gelungenen Tag miteinander und gehen abends sogar gemeinsam essen.
    Wieder zu Hause angekommen täusche ich Müdigkeit vor und verschwinde in mein Zimmer. Nachdem ich die Tür geschlossen habe, widme ich mich dem Abendprogramm, das ich seit ein paar Tagen absolviere. Angeregt durch Jans Zuspruch und Unterstützung, und natürlich durch die Flugexperimente im Krankenhaus, teste ich verschiedene Möglichkeiten, mich in der Luft zu stabilisieren. Schnell begreife ich, dass die Schuhvariante sehr viel Übung erfordert. Statt wie auf einer Scheibe zu stehen, die sich gleichmäßig erhebt, muss ich extreme Konzentration für die Balance aufwenden. Es fühlt sich eher an, als stünde ich auf einer Luftmatraze im Wasser. Hochschweben gestaltet sich relativ leicht. Sobald ich mich aber wirklich in Bewegung setzen und nach rechts, links, nach vorne oder nach hinten gleiten will, muss ich noch mehr Gebrauch von der Kraft machen, um nicht wild mit den Armen rudernd auf dem Boden zu landen. Dabei richte ich einen Teil meiner Aufmerkamkeit auf die Geräusche im Flur, um zu vermeiden, dass meine Mutter plötzlich im Zimmer steht, während ich unter der Lampe schwebe.
    Schließlich kommt mir der Gedanke, mich nicht nur an den Schuhen, sondern auch noch mithilfe meiner Kleidung zu stabilisieren. Nachdem ich aber das Gleichgewicht verloren und fast den dünnen Stoff meines Lieblingsshirts zerrissen habe, sehe ich ein, dass es sich dabei um keine gute Idee handelt. Wenn ich mich irgendwann sicher durch die Luft bewegen will, muss ich weiter an meiner Schuh-Balance-Fertigkeit arbeiten.
    Jans Warnung ist mir jedoch deutlich im Hinterkopf. Er hat recht, es würde definitiv einen Skandal – oder Schlimmeres – auslösen, wenn ich von irgendjemandem beim Fliegen ertappt würde. Insofern ist es fraglich, wann

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