Formbar. Begabt
ebenfalls nutzen wollen, woraufhin im schlimmsten Fall die Arbeit zu gut ausfiele, sodass der Lehrer strenger bewerten würde. Es wäre sowieso fraglich, ob er eine Arbeit zählen lässt, bei der er aus unerfindlichen Gründen den Raum verlassen hat. Und genug Zeit, um an alle Aufgaben zu kommen, hätte ich auch nicht. Gedankenlesen überschreitet meine Kompetenz, also muss ich es schaffen, auf eine andere Arbeit zu spähen.
Nach einem kurzen Blick auf den Lehrer, er blättert im Klassenbuch und scheint Fehlstunden zusammenzurechnen, konzentriere ich mich auf Denise.
Welche Optionen bieten sich mir, um an ihre Ergebnisse zu gelangen? Das Blatt zu mir schweben zu lassen, steht nicht zur Debatte. Ich gehe fest davon aus, dass ihr das auffallen würde – und allen anderen ebenfalls. Die Arbeit kurzzeitig auf meinen Platz zu teleportieren, kommt auch nicht infrage. Die einzige Chance, die mir bleibt, ist das Erstellen einer Kopie, die ich jederzeit verschwinden lassen kann, sollte ich Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Ich könnte ihre Ergebnisse auf meinem Notizblock erscheinen lassen und anschließend abschreiben.
Nachdem ich knappe fünf Minuten mit wildem Probieren verbracht habe, muss ich allerdings feststellen, dass es nicht in meiner Macht liegt, eine Kopie von etwas zu erstellen, dass ich selbst nicht gesehen habe. Irgendwie muss ich also einen Blick auf Denise' Blatt werfen, bevor ich es für mich nutzen kann. Der Lehrer ist noch immer mit unserem Klassenbuch beschäftigt, sodass die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung recht gering ist.
Denise, hebe dein Blatt hoch! Zeige deine bisherigen Ergebnisse!
Aufmerksam beobachte ich, wie Denise in der ersten Reihe ihr Blatt mit beiden Händen über den Kopf hebt und anschließend sogar umblättert. Einen Moment grüble ich über den entsprechenden Gedankenimpuls nach, und wenige Sekunden später ist der Notizblock neben meinem leeren Bogen mit Denise' elegant geschwungener Handschrift versehen.
»Denise?! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Was um Himmels Willen machst du da?«
Ein Blick zum Pult bestätigt meine Befürchtung. Der Lehrer steht, hat beide Handflächen auf die Tischplatte gestützt und fixiert Denise mit bösen Blicken. Die Arme starrt ihn an wie ein verschrecktes Kaninchen und scheint erst jetzt zu begreifen, dass sie nicht nur mit hoch erhobenen Armen ihre Ergebnisse der Klasse präsentiert, sondern auch auf dem besten Wege ist, sich durch einen Betrugsversuch die Note zu ruinieren. Langsam legt sie ihr Blatt auf den Tisch zurück, während der Lehrer mit schnellen Schritten zu ihr läuft.
»Für wie blöd hältst du mich? Glaubst du, ich merke nicht, dass du deinen Mitschülern die Lösungen zeigst?«
Denise zieht den Kopf ein und murmelt eine Entschuldigung, was den Lehrer zu einer weiteren Schimpftirade veranlasst. Er ergreift ihr Blatt.
»Ein offensichtlicher Betrugsversuch, ganz klar! Eigentlich sollte ich die Arbeiten von den Schülern hinter dir ebenfalls einziehen. Wie kann man nur so doof sein und in einer Arbeit eine solche Aktion bringen? Dir ist klar, dass dies deine Jahresnote erheblich zum Negativen beeinflusst, ja?«
Denise schluckt und weiß gar nicht so recht, wie ihr geschieht.
Bevor der Lehrer mit ihrem Blatt zum Pult zurückkehren kann, reagiere ich.
Gib Denise das Blatt zurück und lasse sie weiter schreiben. Keinen Abzug in der Note. Die Fehlstunden müssen weiter zusammengezählt werden. Na los!
Mit den Worten »Letzte Chance!« legt der Lehrer das Blatt achselzuckend auf Denise' Tisch und kehrt zum Pult zurück, wo er sich wieder in seine Arbeit vertieft.
Ich atme erleichtert auf und bemerke, dass auch meine Mitschüler etwas irritiert, aber dennoch froh über den unerwarteten Ausgang der Krise sind. Nach kurzer Unruhe konzentrieren sich alle wieder auf die zu lösenden Aufgaben. Beim nächsten Mal muss ich daran denken, den Lehrer und die anderen Schüler abzulenken.
Auf meinem Block befinden sich immer noch Denise' Ergebnisse, und ein Blick zur Uhr sagt mir, dass ich allmählich anfangen sollte. Schnell und von tiefer Unruhe erfüllt schreibe ich die Vokabeln ab und entsorge das Beweisstück per Gedankenkraft. Verstohlen schaue ich mich im Klassenraum um. Niemand hat etwas bemerkt, und mein Puls beruhigt sich langsam wieder.
Die folgenden Aufgaben werden definitiv schwieriger, denn ich kann sie nicht direkt abschreiben, sondern muss modifizieren. Ich atme tief durch, dann gebe ich zwei Gedankenimpulse
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