Formbar. Begabt
passiert, wenn ich das Messer nur ein Stück bewegt hätte?«
Stumm fixiere ich ihn. Er erwidert meinen Blick weiterhin voller Verärgerung. Schließlich spreche ich in die Stille hinein: »Glaubst du mir jetzt? Ich kann jemandem meinen Willen aufzwingen, selbst wenn es für ihn den Tod bedeuten könnte«, absichtlich wiederhole ich seine Worte von zuvor, »oder für mich. Hattest du denn das Gefühl, deine Entscheidungen selbst zu treffen?«
Okay, das war unter der Gürtellinie, aber ich bin verdammt sauer auf Jan und seine blöde Idee.
»Nein!« Er geht wieder einen Schritt auf mich zu und schreit mich an: »Du warst es, die alles kontrolliert hat. Du hast mir deinen Willen aufgezwungen. Du bist viel stärker als ich. Ist es das, was du hören willst?«
Hilflos stehe ich vor ihm und schüttle leicht den Kopf. Nur langsam schaffe ich es, die Müdigkeit zurückzudrängen. Jan setzt sich schwer atmend auf die Bettkante. Sein gesamter Körper zittert und auch seine Stimme klingt heiser, als er zum Sprechen ansetzt. »Warum? Warum hast du das getan?«
»Willst du es nicht verstehen? Meine Gabe ist unberechenbar. Ich bin unberechenbar. Du kannst mir nicht einfach sagen, dass du mir vertraust und denken, dass es damit getan ist. Bringe mich nie wieder zu einem solchen Test. Nie wieder!«
Jan sinkt rückwärts auf sein Bett und bedeckt sein Gesicht. Die folgenden Worte dringen dumpf hinter seinen Händen hervor. »Ist diese Reaktion nicht ein wenig übertrieben?«
»Kannst du es nicht verstehen? Ich will ein ganz normales Mädchen sein, das die aufregende Zeit mit ihrem festen Freund genießt. Keine mentale Beeinflussung, keine Nutzung der Gabe. Wieso ist es so schwer für dich, das zu kapieren? Wieso willst du mich immer wieder an meine Grenzen bringen? Ich bin doch kein Versuchskaninchen, mit dem du in deinem Labor herumexperimentieren kannst! Liegt dir überhaupt irgendetwas an mir? Ich hasse diese verdammte Kraft! Seit ihrer Entdeckung wird mein Leben immer komplizierter.«
Den letzten Satz schreie ich geradezu heraus, dann breche ich haltlos schluchzend zusammen. Ratlos zieht Jan die Schultern hoch und sucht nach einer Entgegnung.
»Das wusste ich nicht. Wenn ich geahnt hätte, wie schwierig für dich die Entdeckung der Gabe und die resultierenden Konsequenzen sind, hätte ich anders reagiert. Ich dachte, du findest sie spannend und willst deine Möglichkeiten ausschöpfen.«
Mit einer Hand zieht er ein zusammengefaltetes Taschentuch aus seiner Hosentasche, das ich gerne entgegen nehme.
»Das will ich ja auch. Aber doch nicht alles auf einmal. Und gerade im Moment will ich gar nichts damit zu tun haben, sondern einfach unser Zusammensein genießen.«
Kurz lässt Jan seinen Kopf nach vorne fallen, sodass ich sein Gesicht nicht sehen kann. Als er wieder aufblickt, lächelt er. »Okay. Ich habe es verstanden. Wie wäre es, wenn wir uns einen schönen Nachmittag machen und kein Wort mehr über deine Gabe verlieren würden?«
Ich nicke schniefend. Die Auseinandersetzung mit Jan hat mich an meine Grenzen gebracht. Er hat recht. Meine Reaktion war völlig überzogen. Er ist der Einzige, mit dem ich über diese blöde Kraft reden kann. Kein Grund, direkt mit einem Messer zu hantieren, nur weil er etwas ausprobieren wollte.
»Das wäre schön. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass die Eindrücke von heute für die nächsten Wochen ausreichen.«
***
Ein Unfall meiner Gefährtin veränderte alles.
Mit einem einfachen Gedankenimpuls richtete ich ihre gebrochenen Knochen und fügte das Gewebe wieder zusammen.
Wenn es so einfach war, einen anderen Menschen zu heilen, läge es dann nicht ebenfalls im Bereich des Möglichen, diesen zu verjüngen?
25
Beeindruckend
Den kommenden Tag verbringe ich hauptsächlich mit der Herstellung von Muffins und Kuchen für Laros Party. Da meine Eltern nicht zu Hause sind und auch Simon mit einem Freund unterwegs ist, mache ich mir einen Spaß daraus, die Zutaten mit meiner Gabe in die Rührschüssel zu befördern. Ziemlich lustig, wofür diese Gedankenkraft nutzbar ist. Mit einem unguten Gefühl denke ich an den vergangenen Nachmittag. Diese Situation war ganz und gar nicht amüsant. Ich sollte im Gedächtnis behalten, dass die Fähigkeit eine große Gefahr darstellt, und verantwortungsbewusst damit umgehen. Wobei es keinem schadet, wenn ich die Mehlpackung durch die Küche fliegen lasse.
Gegen 16 Uhr mache ich mich auf den Weg zur Klavierstunde. Wie in den vorherigen
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