Forstchen, William
wünscht, und die eigenen Leute zur Arbeit in die Fabriken schicken, würde diese Zahl noch halbiert. Schlachteten wir alle Menschen, wäre es nur noch ein Zehntel. Irgendwann mal vielleicht, aber nicht jetzt.«
Sie zugehen die Pferde vor Ha’arks Jurte und stiegen ab. Ha’ark nahm von einer seiner Konkubinen einen Becher mit fermentierter Stutenmilch entgegen und trat ein. Als ihm der Geruch gebratenen Fleisches in die Nase stieg, bemerkte er erst, wie hungrig er war.
»Das ist alles ziemlich amüsant«, verkündete Ha’ark in der alten Muttersprache. »Hier leben wir besser, als wir es uns in den kühnsten Vorstellungen ausgemalt haben; hier üben wir grenzenlose Macht aus.«
»Solange wir siegreich sind«, wandte Jamul ein.
Ha’ark nickte einem Wachmann zu, der neben dem Eingang stand.
Einen Augenblick später wurde ein Mensch hereingeführt. Er blieb mit gesenktem Kopf stehen, aber Ha’ark spürte sein Grauen.
»Du hast nichts falsch gemacht. Dein Verdacht könnte sich sehr gut als zutreffend erweisen.«
Dale Hinsen hob den Kopf und warf Ha’ark aus dem Augenwinkel einen Blick zu.
»Also hast du ihn getötet, mein Qar Qarth?«
»Nein. Noch ist er mir nützlich.«
Ha’ark spürte, wie Enttäuschung in Hinsen aufblitzte. Ein tiefer Hass musste da bestehen. Gut.
»Setze deine Spitzel ein; behaltet alle Fabriken im Auge. Falls du einen Beweis findest, werden er und alle, die mit ihm unter einer Decke stecken, sterben.«
»Ja, mein Qar Qarth.«
»Es muss jedoch ein eindeutiger Beweis sein, keine Intrige deinerseits, denn falls sich Letzteres erweist, wirst du es sein, der stirbt.«
»Niemals, mein Qar Qarth!«
Ha’ark entließ Hinsen mit kurzer Handbewegung, und der Mann zog sich zurück.
»Noch weinerlicher als die meisten«, sagte Jamul mit erkennbarer Verachtung.
»Aber amüsant.«
»Ich verstehe nicht, welches Spiel du da spielst.«
»Hans ist Keane, ist der Lehrer, der Keane geformt hat. Indem ich ihn im Auge behalte, lerne ich meinen Gegner besser kennen. Ein Vorteil, da mein Gegner bislang nichts von mir weiß. Kann Hans seine Gedanken verborgen halten? Falls ja, verrät mir das viel. Vielleicht ist er unschuldig, und nur die eigenen Befürchtungen und das Gewinsel meines obersten Spitzels haben meine Vorstellungskraft geweckt. Falls es so ist, lehrt mich das noch etwas: dass Hans tatsächlich gebrochen werden kann. Ich bin sehr neugierig, wie das alles enden wird.
Warum also eine Zerstreuung ruinieren, aus der ich so viel lernen kann?«
»Und was denkst du wirklich?«
Ha’ark lächelte.
»Er wird versuchen zu fliehen, und wenn er es tut, werde ich den letzten Akt aufführen. Ich schicke sein Kind und seine Frau zum Mondfest und lasse ihn lange genug am Leben, damit er zusehen kann. Auch das dürfte mir etwas über seinen Yankeecharakter verraten.«
»Karga kommt zurück!«
Der Warnruf kam vom Einstieg über ihm, und Gregori hatte das Gefühl, als gefröre ihm das Herz. Sie gruben jetzt seit fünf Tagen am Tunnel und waren nach den Messungen vom Vormittag inzwischen gute zwei Meter über die Mauer des Werksgeländes hinaus. Er blickte seinen Helfer an, der ausgestreckt hinter ihm lag, und gab ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen, er solle alle Lampen außer einer löschen. Wenn der Bantagwachmann näher kam, musste die Pumpe abgeschaltet werden, und in Minuten wurde es hier unten stickig. Wenn sie die Lampen löschten, gewannen sie dadurch ein bisschen Zeit.
Etwas, was Gregori nie zugegeben hatte, war seine Angst vor engen Räumen. Die beruhigenden Schübe frischer Luft aus dem Einlass des hölzernen Belüftungsrohres blieben jetzt aus, und die Angst griff erneut Platz. Der Geruch des feuchten Lehms brach über Gregori herein und beschwor Gedanken an ein Grab herauf. Er versuchte in die Lampe zu starren, die vor ihm flackerte, und sich zu konzentrieren.
»Ich kehre nach Hause zurück, nach Hause zurück!«, singsangte er leise vor sich hin.
Nach Hause … und doch brachte der Gedanke Seelenqual mit sich. Wahrscheinlich haben sie mich schon vor über vier Jahren für tot erklärt. Meine Frau? Hatte sie wohl …? Am Abend, ehe er zu seinem neuen Kommando an der Südgrenze aufbrach, hatte sie ihm gesagt, dass sie schwanger war. Das Kind war jetzt fast vier. Was sie wohl sagen würde? Komisch, immer war es ein kleines Mädchen, das er sich vorstellte – lachend, quietschend, mit ausgebreiteten Armen auf ihn zulaufend.
Er war froh über die Dunkelheit, als ihm die Tränen
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