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Fortinbras ist entwischt

Fortinbras ist entwischt

Titel: Fortinbras ist entwischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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natürlich tief betrübt, weil ihr Haus weggesunken war - und er, der böse Gaylord, würde ihren Kummer auch noch dadurch mehren, daß er Fortinbras auf sie losließ. Er war von tiefer Reue erfüllt, denn er war an sich ein gutartiger Junge. Aber abgesehen von seinem schlechten Gewissen plagte ihn auch noch die kalte, unerbittliche Logik: angenommen, Mummi würde ihm auf die Schliche kommen - und das lag bei ihr nur allzu nahe -, also angenommen, sie würde ihm auf die Schliche kommen, dann würde es sich zeigen, wie böse er war. «Der armen Mrs. Darling auch noch einen solch üblen Streich zu spielen, nachdem schon ihr Haus weggesunken ist!» Oh, Mummi würde es ihm unter die Nase reiben, und wie! Und es würde ihm nichts nützen, zu versichern, daß er den Streich bereits geplant hatte, bevor das Haus umfiel. Nur weil Fortinbras so begriffsstutzig war...
    Bedrückt eilte er zu Mrs. Darlings Zimmer. Er klopfte. Keine Antwort. Er drückte die Klinke herunter und ging hinein. Leer! Keine Mrs. Darling, kein Feydeau, kein Fortinbras. Er legte sich bäuchlings vor das Loch in der Wandleiste. «Fortinbras», flüsterte er.
    Keine Antwort. Er zog eine angebissene Stange Lakritze aus der Tasche und schob sie in das Loch. Sie traf auf keinen Widerstand; das Loch mußte also ziemlich tief sein. Er zog die Lakritzenstange wieder heraus, im stillen hoffend, daß Fortinbras am anderen Ende hängen würde. Aber nein! Nichts als Staubflocken und Sägemehl. Verstört biß er ein
    Stück ab und versank in Nachdenken. Das einzige, was ihm blieb, war, es noch einmal zu versuchen. «Fortinbras», flüsterte er, jetzt jedoch vorwurfsvoll, sein kleiner Freund war wirklich zu dumm. Aber Fortinbras erschien nicht. Er war weder zu hören noch zu sehen. Was wiederum verständlich war, denn wahrscheinlich hatte er die Tatsache, daß er Fortinbras hieß, überhaupt nie zur Kenntnis genommen. Gaylord stand auf - ein sehr sorgenvoller und schuldbewußter kleiner Junge, der sich davonstahl und die Tür leise hinter sich schloß.
     
    Er hatte drei Möglichkeiten, überlegte Gaylord, 1. Das Loch mit einem Taschentuch zu verstopfen. Nein! Fortinbras konnte Klaustro-wie-hieß-das-doch-gleich bekommen. 2. Mummi alles beichten; aber dann wäre die Hölle los. Kam also auch nicht in Frage. 3. Mrs. Darling alles beichten in der Hoffnung, sie würde ihn nicht bei Mummi verpetzen. Hoffnungslos! Mummi erfuhr immer alles.
    Nichtsdestoweniger, Plan 3 war der einzige, der einen gewissen Erfolg zu versprechen schien. Er beschloß, ihn in die Tat umzusetzen.
    Er ging wieder hinauf und klopfte an Mrs. Darlings Tür.
    Diesmal, stellte er zu seinem Bedauern fest, war sie da. «Herein», rief sie.
    Er schluckte einmal ängstlich, ehe er hineinging. Sie stand am Fenster und starrte hinaus. «Ja?» fragte sie, ohne sich umzudrehen.
    Er schluckte noch einmal. Bei jedem Schritt, den er machte, kläffte Feydeau angriffslustig und wirbelte kreiselnd um Gaylords Füße herum.
    Gaylord schluckte ein drittes Mal. «Mrs. Darling», sagte er.
    «Ja?» Sie starrte immer noch aus dem Fenster.
    «Ich... ich bin gekommen, um Sie zu warnen, Mrs. Darling», stotterte er.

    «Mich warnen?» Sie hatte, weiß Gott, schon genug Sorgen, und nun kam auch noch dieses melodramatische Kind mit seinen eingebildeten Katastrophen. Schließlich wandte sie sich dennoch um. «Wovor denn, um Himmels willen?»
    «Vor...» begann Gaylord bedrückt. Aber ausgerechnet in diesem gewiß unheilschwangeren Moment schnappte Feydeau plötzlich total über: und raste mit schrillen, schrecklichen Angstquietschern aus dem Zimmer. Mrs. Darling erstarrte zur Salzsäule. Gaylord, der eine erstaunliche Anzahl von medizinischen Wissensbrocken aufgeschnappt hatte, dachte, das Ganze sähe einer akuten Attacke von rigor mortis verdammt ähnlich. Und Fortinbras, nun völlig um sein bißchen Verstand gebracht und unfähig, sein Mauseloch wiederzufinden, hatte die Wahl von vier Beinen; er wählte glücklicherweise eines von Gaylord.
    Gaylord hielt das atemlose Tier liebevoll in der Hand. Mrs. Darling öffnete ihre erstarrten Lippen weit genug, um zu schreien: «Weg damit! Nimm sie sofort weg!»
    «Ja, gerne, Mrs. Darling.» Er blickte sie beunruhigt an. «Soll ich Mummi sagen, daß Sie sich nicht wohl fühlen?»
    «Nein!» Sie wandte ihr Gesicht ab. «Nimm sie weg!»
    «Es tut mir leid, Mrs. Darling», sagte er zerknirscht und verzog sich.
    Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Er hätte am liebsten geweint. Mrs.

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