Fortinbras ist entwischt
Darling sah so fassungslos und so... irgendwie einsam aus. Und alles war seine Schuld. Andererseits natürlich hatte er alles versucht. Er hatte sein Bestes getan, die Katastrophe abzuwenden, und er mußte zugeben, daß diese fünf Minuten zu den interessantesten seines Lebens gehörten. Vielleicht bestand sogar die Chance, daß Mummi ihn mit dieser Katastrophe nicht in Verbindung bringen würde; groß war diese Chance allerdings nicht. Mummi brachte Gaylord im Handumdrehen mit allen Katastrophen in Verbindung. Immerhin gab es eine Chance. Sie beruhte hauptsächlich darauf, daß Mummi ja annehmen mußte, Fortinbras sei die ganze Zeit über verschwunden gewesen.
Sein angeborener Instinkt riet ihm, sich für den Rest des Tages möglichst unsichtbar zu machen; aber sein Gewissen ließ es nicht zu. Er konnte die arme Mrs. Darling in ihrem bejammernswerten Zustand nicht im Stich lassen. Sie konnte womöglich sterben. Er suchte Mummi. «Ich glaube, Mrs. Darling geht es nicht gut», sagte er.
Mummi sah ihn erstaunt an. Dann erblickte sie Fortinbras. Sie betrachtete das Tier widerwillig. «Du hast ihn also gefunden», sagte sie.
«Ja, Mummi.» Er streichelte das weiße Fellchen.
«Wo?»
«In Mrs. Darlings Schlafzimmer. Ich glaube, deshalb ist ihr nicht gut.»
«Was, zum Teufel, hattest du denn in Mrs. Darlings Schlafzimmer zu suchen?»
Er hatte es ja geahnt! Er hatte zwar gehofft, daß die Nachricht von Mrs. Darlings Krankheit Mummi ablenken würde, aber Mummi war eben nicht abzulenken, besann er sich betrübt. Er sagte: «Ich ging vorbei und hörte Mrs. Darling schreien. Da rannte ich ins Zimmer und sah Fortinbras, der gerade an ihrem Bein hochlief und...» Er hielt inne, weil er merkte, daß er sich mal wieder von seiner Phantasie hinreißen ließ.
Zu seinem Erstaunen sagte Mummi jedoch: «Also nimm ihn schon weg, um Himmels willen, und sperr ihn wieder ein, damit er nicht noch mal entkommt.» Und damit ging sie nach oben, um nach Mrs. Darling zu sehen.
Nachdem Gaylord sie verlassen hatte, ging Mrs. Darling wieder zum Fenster. Sie starrte hinaus, ohne etwas zu sehen. Dann trat sie ins Zimmer zurück und setzte sich in einen Sessel. Zu ihrer eigenen Verwunderung und ihrem höchsten Verdruß fing sie an, lautlos zu weinen.
Was, um Gottes willen, war bloß los mit ihr? Sie gehörte doch nicht zu jenen Frauen, die weinen, wenn sie ihr Zuhause verlieren. Nein. Es war diese verdammte Maus. Der Schock hatte irgend etwas in ihr ausgelöst, das sie bisher sehr geschickt unter Kontrolle gehalten hatte.
Sie weinte still vor sich hin, niedergeschlagen. Da klopfte es an der Tür.
«Einen Augenblick, bitte», rief sie. Sie trat rasch vor den Frisiertisch, betupfte sich die Nase und versuchte, die Tränenspuren um ihre Augen zu beseitigen; ohne großen Erfolg. Ein Mann würde vielleicht nichts bemerken, aber eine Frau bestimmt. Sie konnte nur hoffen, daß es John war. Sie richtete sich würdevoll auf, streckte das Kinn vor und rief: «Herein.»
Es war May. Wer wohl sonst!
May warf einen raschen Blick auf Mrs. Darlings angestrengte Züge und blickte dann beiseite. Es war ihr nicht entgangen, daß Mrs. Darling Kummer hatte, und Mrs. Darling wußte, daß es ihr nicht entgangen war.
Freundlich sagte May: «Ist alles in Ordnung, meine Liebe? Gaylord hat sich Sorgen um Sie gemacht.»
«Danke, mir fehlt nichts. Die Maus Ihres kleinen Sohnes tauchte hier plötzlich überraschend auf, und ich fürchte, ich habe mich ziemlich albern benommen. Aber inzwischen habe ich mich von dem Schreck schon wieder erholt. Ich danke Ihnen.»
«Wie wär’s mit einer schönen Tasse Tee?»
«Nein, vielen Dank, ich muß Feydeau suchen. Sicher hat er einen schweren Schock bekommen.»
«Also, wenn ich wirklich nichts...» sagte May zögernd, schon zwischen Tür und Angel. Die arme Frau sieht wirklich ganz verstört aus, dachte sie, und ich kann sie nur zu gut verstehen. Nach all dem Kummer mit ihrem Haus nun auch noch eine Maus.
Dann sagte sie sich, daß Mrs. Darling wahrscheinlich auch auf den Besitzer der Maus nicht gerade gut zu sprechen war. «War es nicht ein glücklicher Zufall, daß Gaylord gerade im rechten Augenblick an Ihrer Tür vorbeikam?» fragte sie anteilnehmend.
Mrs. Darling blickte sie durchdringend an. «Er ist nicht vorbeigekommen, er war im Zimmer.»
«Im Zimmer?» Nun war es an May, erstaunt auszusehen.
«Ja. Er kam herein und sprach davon, daß er mich warnen müsse; und dann passierte das alles.»
«Sie
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