Fortunas Tochter
mir nicht glauben, wenn ich es sage…«
»Wer!«
»Ein Mädchen, vor einiger Zeit, auf einem Schiff.«
Und Azucena Placeres blieb nichts anderes übrig, als diesem Wahnsinnigen zu erzählen, wie ein chinesischer Koch ihr die Brosche gegeben habe als Bezahlung, weil sie einem armen Ding beigestanden hatte, das im Kielraum eines Schiffes mitten im Pazifischen Ozean nach einer Fehlgeburt im Sterben lag. Während sie sprach, verwandelte sich die Wut des Kapitäns in blankes Entsetzen.
»Was ist aus ihr geworden?« fragte er niederge– schmettert, den Kopf zwischen den Händen.
»Ich weiß nicht, Señor.«
»Bei dem, was du am meisten liebst, Frau, sag mir, was aus ihr geworden ist«, flehte er und warf ihr ein Bündel Geldscheine in den Schoß.
»Wer sind Sie?«
»Ich bin ihr Vater.«
»Sie ist verblutet, und wir haben die Leiche ins Meer geworfen. Ich schwöre, das ist die Wahrheit«, antwortete Azucena Placeres, ohne zu zögern, denn sie dachte, wenn diese Unglückliche in einem Loch versteckt wie eine Ratte um die halbe Welt gereist war, würde es eine unverzeihliche Gemeinheit von ihr sein, den Vater auf ihre Spur zu setzen.
Eliza verbrachte den Sommer in High Gallows, denn ein Ereignis löste das andere ab, und dabei vergingen die Tage. Zuerst bekam Babalú der Böse einen fulminanten Ruhranfall, der Panik hervorrief, denn sie hatten ange– nommen, die Epidemie wäre besiegt. Seit zwei Monaten waren keine Fälle mehr zu beklagen gewesen außer dem Tod eines zweijährigen Kindes, des ersten Menschen, der in diesem Ort des Durchgangs für Fremde und Abenteurer geboren und gestorben war.
Dieses kleine Geschöpf drückte dem Dorf den Stempel der Echtheit auf, es war nicht länger ein verrücktes Camp mit einem Galgen als einziger Berechtigung, auf Karten vermerkt zu werden, jetzt hatte es einen christlichen Friedhof aufzuweisen und das kleine Grab von einem Menschen, dessen Leben hier verlaufen war.
Während der Schuppen als Hospital gedient hatte, waren wunderbarerweise alle von der Seuche verschont geblieben, denn Joe glaubte nicht an Ansteckung und sagte, alles sei Glückssache, die Welt ist voll von Seuchen, den einen befallen sie und den andern nicht.
Deshalb sah sie sich auch nicht vor und gönnte sich den Luxus, die vernünftigen Warnungen des Arztes zu überhören, und nur widerwillig kochte sie manchmal das Trinkwasser ab. Als sie in ein richtiges, ordentliches Haus umzogen, fühlten sich alle sicher; wenn sie vorher nicht krank geworden waren, würden sie es jetzt ganz bestimmt nicht mehr. Wenige Tage nachdem es Babalú erwischt hatte, traf es die Bonecrusher, die beiden Mädchen aus Missouri und die schöne Mexikanerin. Sie quälten sich mit einem abscheulichen Durchfall, hohem Fieber und nicht beherrschbarem Schüttelfrost, der im Fall Babalú das Haus erschütterte. Und da erschien James Morton im Sonntags– anzug und bat in aller Form um Esthers Hand.
»Ach Junge, du hättest dir keinen schlechteren Augen– blick aussuchen können«, stöhnte Joe Bonecrusher, aber sie war zu krank, um sich zu widersetzen, und gab wehklagend ihre Einwilligung.
Esther verteilte ihre Habe unter ihren Gefährtinnen, weil sie nichts davon in ihr neues Leben mitnehmen wollte, und heiratete noch am selben Tag ohne große Formalitäten, geleitet von Tom No Tribe und Eliza, den außer ihr selbst einzigen Gesunden der Truppe. Ihre alten Kunden bildeten eine doppelte Reihe zu beiden Seiten der Straße, als das Paar erschien, feuerten Schüsse in die Luft und ließen sie hochleben. Esther richtete sich in der Schmiede ein und war entschlossen, ein Heim daraus zu machen und die Vergangenheit zu vergessen, aber sie brachte es geschickt fertig, täglich Joes Haus zu besuchen, ihnen warmes Essen zu bringen und saubere Wäsche für die Kranken. Eliza und Tom No Tribe fiel die nicht eben einfache Aufgabe zu, die übrigen Bewohner des Hauses zu pflegen. Der Arzt des Dorfes, ein junger Mann aus Philadelphia, der seit Monaten warnte, daß das Wasser von den Abfällen der Goldgräber flußaufwärts verseucht sei, ohne daß jemand auf ihn gehört hätte, stellte Joes Haus unter Quarantäne. Mit den ausbleibenden Freiern gingen die Finanzen zum Teufel, aber sie litten keinen Hunger dank Esther und den anonymen Gaben, die still und heimlich vor der Tür erschienen: ein Sack Bohnen, mehrere Pfund Zucker, Tabak, Beutelchen mit Goldstaub, einige Silberdollar. Um ihren Freunden zu helfen, besann sich Eliza auf das, was sie als Kind
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