Fortune de France: Roman (German Edition)
sprach er mit einer Miene, die voller Verdrießlichkeit war oder es zumindest sein sollte:
»Ich weiß nicht, von wem Ihr diese Hartnäckigkeit habt. Vielleicht von Eurer Mutter.«
»Nein, mein Herr Vater. Mit Verlaub zu sagen: von Euch selbst. Ich bin gar sehr nach Euch geraten, wie alle sagen.«
Dies war meinem Vater natürlich nicht unbekannt. Doch ich wußte auch, daß er es gern hörte – vor allem aus meinem Munde.
»Das nenne ich«, sprach er zufrieden, doch ohne sich auf meinen Leim locken zu lassen, »eine ausgezeichnete
captatio benevolentiae
1 . Aber wir sind fast angelangt, und so ist es Zeit, zum Schluß zu kommen.«
Und in der Tat betraten wir in diesem Augenblick die dritte Zugbrücke.
»Mein Herr Vater«, bedrängte ich ihn, »ich habe den Dieb entdeckt, ich habe ihn unschädlich gemacht und gefangengenommen. Darf ich Euch also um die Gnade bitten, ihn mir zu überlassen, auf daß er mir zu Diensten stehe wie Franchou meiner Schwester Catherine?«
Jählings blieb mein Vater mitten auf der Brücke stehen und warf mir einen bohrenden Blick zu, den ich mit unschuldiger Miene erwiderte.
»In cauda venenum!«
2 rief er, die Sache von der heiteren Seite aus nehmend. »Ha, Pierre, du allein bringst mehr List auf denn Weib, Katze und Affe zusammen!«
Ich trat vor ihn:
»Und Miroul, mein Vater?«
»Wir werden sehen.«
Ich warf mich in seine Arme und küßte seine Wangen, indes mir Tränen über die Backen liefen. Er erwiderte kraftvoll meine Umarmung und löste sich dann von mir. Lächelnd und wieder voll der Fröhlichkeit, mit der er aufgestanden war, nahm er meinen Arm und zog mich fast im Laufschritt in den Burgsaal.
Dort saßen unsere Leute stumm und mit bestürzten Gesichtern um den großen Tisch bei der Frühmahlzeit. Ihre Bestürzung wuchs indes noch mehr, als mein Vater und ich die Fleischkammer betraten und – o Wunder! – zusammen mit Miroul, den sie doch vor einigen Minuten mit uns hatten weggehen sehen, wieder herauskamen. Alle waren schier fassungslos.Die Maligou hub an, sich hektisch zu bekreuzigen, doch kaum öffnete sie den Mund zu ihren gewöhnlichen Ergüssen, als mein Vater sie auch schon barsch anfuhr:
»Schluß mit dem törichten Geschwätz, Maligou! Hier sind keine übernatürlichen Kräfte im Spiele, sondern nur große Gewandtheit und Geschicklichkeit. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Und nun, Pierre, sperre Miroul in den Nordostturm ein. Der Herr Junker und ich werden über sein Schicksal beratschlagen.«
Sie beratschlagten. Und Miroul, welchen mein Vater in der Tat Samson und mir zu Diensten gab und der zunächst – zur großen Erleichterung der Brüder Siorac – bei den Stall- und Feldarbeiten half, dient uns noch heutigentags, nachdem er meinen Bruder und mich zu unseren Studien nach Montpellier begleitet hatte und mir danach an den königlichen Hof zu Paris folgte, allwo wir manches Abenteuer zu bestehen hatten, wie ich noch berichten werde.
ELFTES KAPITEL
Vom 29sten August anno 1563 (als auf wundersame Weise Miroul in unserer Fleischkammer erschien) bis zum 28sten Mai anno 1566 (als Samson und ich, mit selbigem Miroul als Diener, Mespech verließen, um nach Montpellier zu ziehen) vergingen drei Jahre, in denen ich meiner Kindheit und Knabenzeit den Rücken kehrte und zum Manne wurde. Nicht daß ich nicht schon mit zwölf Jahren meinte, es zu sein, denn in meinen Augen besaß ich alle Privilegien eines Mannes: vom kurzen Degen, der an meiner Seite baumelte, bis hin zu dem Gebrauch, den ich von meinen Nächten machte. Aber in Wahrheit hat das Mannesalter mit dem Horizont gemein, daß es in dem Maße zurückweicht, wie man sich ihm nähert. Deshalb muß man den Parlamenten Dank dafür wissen, daß sie die Großjährigkeit auf fünfzehn Jahre festgesetzt haben, was eine fiktive, aber beruhigende Grenze ist für jeden, der nicht weiter sehen will. Indessen gibt es etliche, die allezeit Kinder bleiben, wenn auch die Kindheit weit hinter ihnen liegt. Mehrere Jahre nach meinem Weggang von Mespech – ich befand mich in der Hauptstadt, und mir ward ganz zufällig die Ehre zuteil, mit Karl IX. Ball zu spielen – wurde dem König in meinem Beisein das Attentat auf Admiral de Coligny gemeldet. Erschüttert über diesen abscheulichen Mord, sah ich zu meinem großen Befremden, wie der König den Mund verzog, sein Rakett heftig zu Boden schleuderte und unbeherrscht ausrief: »Kann man mich niemals in Ruhe lassen?« Er war weniger erschrocken über die für
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