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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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der Nacht über unser Haus hergefallen«, erwiderte Miroul mit Tränen in seinen zwiefarbenen Augen, »und haben meinen Vater, meine Mutter, meine Brüder und Schwestern niedergemacht – letztere nicht ohne ihnen vorher Gewalt anzutun. Ich konnte mich in der Scheune unter dem Heu verbergen, und nachdem die Schurken vom Weine benebelt waren, nahm ich diesen Haken hier und das Messer und machte mich aus dem Staube.«
    »Und bist dann selbst zu einem Spitzbuben geworden?«
    »Nicht ganz«, erwiderte Miroul mit erhobenem Kopf, »denn ich nehme keinem Hirten noch Ackersmann etwas weg, sondern stehle nur in Burgen und Schlössern und nur so viel, wie ichzum Essen brauche. Auch steige ich immer nur einmal an gleicher Stelle ein, so vor drei Nächten in Laussel, vorgestern in Commarque, gestern in Fontenac und diese Nacht in Mespech.«
    »Fontenac?« fragte mein Vater mit zweifelnder Miene. »Du hast es fertiggebracht, in die Burg Fontenac einzudringen?«
    »Das war ein Kinderspiel«, erwiderte Miroul. »Von den vier Burgen hat mir Mespech die meiste Mühe gemacht.«
    »Und wie gehst du zu Werke, Miroul?«
    »Ich binde mir Lappen um die Füße und um meinen Haken und steige dann kurz vor dem Morgengrauen über die Mauer.«
    »Und warum so spät?«
    »Um diese Zeit schlafen die Wächter, denn sie fühlen das Ende der Nacht herannahen.«
    »Und die Hunde?«
    »Die Hunde beschnüffeln mich, belecken mich, aber bellen nicht.«
    »Das wäre ein Wunder, wenn es wahr wäre!«
    »Moussu lou Baron«, sprach Miroul gleichsam mit Würde, »ich bin zwar leider ein Dieb, aber kein Lügner. So Ihr es wünscht, werde ich vor Euern Augen den ganzen Weg vom Fuße Eurer Burgmauer bis in die Fleischkammer noch einmal zurücklegen.«
    Hierauf blickte ihn Jean de Siorac an und sprach mit einer Kälte, von der ich nicht zu sagen wüßte, ob sie vorgetäuscht oder echt war:
    »Du gibst dir große Mühe, um hinterher gehängt zu werden.«
    Miroul schüttelte eher traurig denn erschrocken den Kopf.
    »Ich fürchte den Galgen nicht, denn ich finde gar wenig Gefallen an diesem Leben, das des Tages nur Einsamkeit ist und des Nachts Schurkerei. Allein mein leerer Bauch treibt mich dazu. Aber die Dieberei quält mein Gewissen, weil ich weiß: Der HERR haßt alles Übel, und ER ist groß an Macht und siehet alles.«
    Bei diesem Zitat des Jesus Sirach horchte Sauveterre auf.
    »Miroul, hängst du dem neuen Glauben an?«
    »Ja, wie meine verstorbene Familie.«
    Es trat eine kurze Stille ein, worauf mein Vater sprach:
    »Nun denn, Miroul, zeige uns, wie du in die Burg gelangt bist. Pierre, binde ihn los.«
    Und zu unserem Gesinde gewandt, fügte er hinzu:
    »Nur Jean de Sauveterre und meine Söhne werden mit mir kommen. Alle anderen bleiben hier bei Tische, ohne daß einer auch nur die Nase hinaussteckt.«
    Als mein Vater dem armen Escorgol, der sich am Fenster zeigte, in kurzen, scharfen Worten die Sache berichtete, war dieser so bestürzt und betrübt ob der Schmach und Schande, daß es dem sonst so Zungengewandten ganz und gar die Sprache verschlug und er sich nur die beiden kleinen Finger in die Ohren steckte, um sie heftig hin und her zu drehen.
    »Escorgol«, befahl ihm mein Vater sodann, »schließe dein Fenster, strecke dich auf dein Lager aus und spitze die Ohren. Der Bursche hier wird noch einmal seinen Weg in die Burg nehmen.«
    »Sehr wohl, Moussu lou Baron«, erwiderte Escorgol, das Gesicht rot vor Scham.
    Auf Geheiß meines Vaters teilten wir uns in zwei Gruppen. Sauveterre, François und Samson, die Pistolen im Gürtel, begleiteten Miroul zum Tor hinaus, indes ich mit meinem Vater im Zwinger verblieb, wo sich unsere drei Doggen befanden, die wie ihre Vorgänger (welche von den Zigeunern niedergemacht worden waren) Aeacus, Minos und Rhadamanthys hießen, welche verzwickten mythologischen Namen unsere Leute kurzerhand ins Perigurdinische übertragen hatten: es war aus Aeacus »Acha« (die Axt) geworden, aus Minos »Minhard« (der Feinschmecker) und aus Rhadamanthys »Redamandard« (der ständig Fressen verlangt).
    Ganz ohne jedes Geräusch landete der mit Lappen umwickelte Haken auf der Mauerkrone an der Nordseite, also auf der dem Torhaus gegenüberliegenden Seite. Alsbald erschien auch Miroul, zog das Seil nach, nahm den Haken auf und eilte lautlos auf der Mauer bis zu einer Stelle auf der Ostseite, wo er, das aufgerollte Seil mit der Linken haltend, den Haken mit der Rechten über einen dicken Ast des Nußbaumes warf, der dort in einigen

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