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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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ward und sich mit Dämpfen, Dünsten und stark säurehaltigen giftigen Exhalationen füllte. Daher die argen Kopfschmerzen und Schwindelanfälle, die Ihr beobachtet habt, denn die malignen Dämpfe, von denen ich sprach, schwächen, belasten und beeinträchtigen die empfindlichsten Nerven und Meningen in einem Maße, daß die Lebensgeister nicht mehr darin zirkulieren können und Sehkraft wie Sprachvermögen schwinden. Kurz, es handelt sich um eine sympathische, keine idiopathische Epilepsie, wie sie nicht ausgeht vom Gehirn selbst, welches an sich nicht verdorben ist …«
    »Dort aber sitzt der Schmerz«, sagte mein Vater.
    »Der Schmerz«, entgegnete Herr von Lascaux, ob der Unterbrechung deutlich verstimmt, »kommt von den giftigen Dämpfen und Exhalationen, die aus allen Teilen des Körpers in das Gehirn steigen.«
    Nach einer Pause sprach mein Vater:
    »Ihr meinet also, Herr von Lascaux, es handele sich um eine Epilepsie. Doch die Kranke fällt nicht zu Boden.«
    »Sie wird fallen«, erwiderte Herr von Lascaux.
    »Sie wird nicht starr, hat weder Krämpfe noch Atemnot.«
    »Sie wird das alles bekommen.«
    Es folgte ein langes Schweigen.
    »Und welches Heilmittel empfehlet Ihr?« fragte Jean de Siorac.
    »Häufigen Aderlaß«, sagte Herr von Lascaux, indem er sich erhob und sich vor meinem Vater tief verneigte, denn er wußte sehr wohl, wie wenig mein Vater von diesem unfehlbaren Mittel hielt.
    Mein Vater entgegnete kein Wort darauf, sondern erhob sich seinerseits und geleitete Herrn von Lascaux höflich zu seiner Kutsche zurück; die beiden Gehilfen, stumm wie Ölgötzen, mit hängenden Armen und leerem Kopf, folgten in gehörigem Abstand.
    Sauveterre, der meinem Vater im Hof entgegenhinkte, fragte leise, damit die Dienerschaft ihn nicht höre:
    »Nun, was ist bei der Konsultation herausgekommen?«
    »Viel Stroh und wenig Korn. Eine schöne Rede. Eine falsche Diagnose. Und ein idiotisches Heilmittel.«
    »Zum Fenster hinausgeworfenes Geld …«
    »Ja, aber es mußte sein!« entgegnete mein Vater gereizt; und er ließ Sauveterre unvermittelt stehen und ging in die Bibliothek, wohin ich ihm folgte.
    »Mein Herr Vater«, fragte ich beklommen, »was denkt Ihr selbst von dieser Krankheit?«
    Mein Vater blickte mich an und war erstaunt, mich so erschüttert zu sehen, doch machte er dazu nicht die geringste Bemerkung, was immer er darüber denken mochte.
    »Mein Pierre«, sagte er, »das einzige Mittel gegen Unwissenheit ist Wissen, nicht Gerede. Jeder kleine Besserwisser möchte gern – wie der Rabe auf unserem Turm – in die Welt krächzen, was er nicht weiß. Aber was soll uns dieses eitle Gekrächze? Uns gelüstet nach Wahrheit. Könnte ich der armen Hélix, ohne daß sie daran stürbe, den Schädel aufsägen und hineinschauen, wüßte ich, was es mit ihren Schmerzen auf sich hat. Was ich weiß, ist, daß die Krankheit in ihrem Kopf steckt, und nur in ihrem Kopf, denn der übrige Körper ist gesund, und die Lebensfunktionen sind erhalten.«
    »Wäre es möglich, mein Herr Vater, daß allein der Nerv gestört ist?«
    Ich stellte die Frage mit so erstickter Stimme, daß mein Vater mich lange ansah und dann nicht ohne Widerstreben sagte:
    »Ich befürchte tatsächlich eine schlimme Beschädigung der Meningen. Vielleicht ein Geschwür.«
    »Ein Geschwür!« sagte ich. »Aber wo könnte der Eiter abfließen, wenn er doch vom Schädel zurückgehalten wird?«
    »Das ist der Punkt«, erwiderte mein Vater. »Ihr habt ihn genau getroffen!«
    »Es gibt also keine Heilung?« fragte ich mit zitternder Stimme.
    Mein Vater schüttelte den Kopf.
    »Wenn zutrifft, was ich vermute, gibt es keine Heilung. Was ich tun kann, wenn die Leiden der armen Kleinen unsäglich werden, ist, ihr etwas Opium zu verabreichen.«
    Unter dem Vorwand, Cabusse erwarte mich im Fechtsaal, verließ ich meinen Vater mit einem kurzen Gruß, aus Furcht, er könnte meine Tränen sehen.
    Auf dem Weg zum Fechtsaal traf ich François, der grad von dort kam. Er zog die Brauen hoch, da er an mir vorbeiging, und murmelte zwischen den Zähnen, ohne mich anzublicken:
    »Was für ein Theater wegen der kleinen Schlampe!«
    Er war bereits an mir vorbei. Ich lief ihm nach, packte ihn kräftig am Arm und zwang ihn, sich umzudrehen; zwar noch mit Tränen in den Augen, aber wütend, schrie ich ihm ins Gesicht:
    »Was hast du gesagt, Schurke?«
    »Gar nichts«, sagte er, indes er erbleichte und unruhige Blicke um sich warf, denn wir waren allein in dem langen, sehr feuchten

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