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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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des Monats Oktober anno 1564, als das königliche Gefolge in Salon weilte, ersuchte Michel de Nostre-Dame bei Katharina von Medici eindringlich um die Erlaubnis, Heinrich von Navarra allein und in Muße zu beobachten. Auf Geheiß der Königin führte man ihn in das Zimmer des Prinzen. Heinrich stand nackt im Raume, wartend, daß man ihm ein Hemd überziehe, und Nostradamus befahl mit leiser Stimme, ihn so zu belassen, denn er wünschte ihn in seiner Nacktheit zu sehen. Und betrachtete ihn, die Wahrheit zu sagen, so lange, daß Heinrich, der ihn nicht kannte, sich fragte, ob er nicht für ein kleines Vergehen gezüchtigt werden solle.«
    Hier lächelte der gestrenge Caumont gerührt und hielt inne.
    »Nostradamus«, berichtete er weiter, »zog sich schließlich wortlos zurück, aber bevor er Abschied nahm, blieb er stehen und sprach, zu denen gewandt, die dem Prinzen dienten, mit feierlicher Stimme:
Der dort wird das ganze Erbe antreten.
«
    Caumont setzte sich wieder. Mein Vater und Sauveterre schienenzu Statuen erstarrt, und in der folgenden Minute breitete sich eine so tiefe Stille im Raum aus, daß ich kaum zu atmen wagte, aus Furcht vor dem Geräusch, das ich verursachen könnte. Ich sah aus dem Augenwinkel – denn ich wagte auch nicht, mich zu bewegen –, daß Samson und François ebenfalls versteinert waren. Ich weiß nicht, wie lange dieses Schweigen anhielt, diese Reglosigkeit, das Herzklopfen in meiner Brust, doch ich erinnere mich gut, daß es Sauveterre war, der angesichts der ungeheuren Hoffnung, welche der Gedanke an einen hugenottischen König uns gab, als erster sprach. Er sagte mit rauher Stimme, die er unter großer Mühe aus seinem Innern zu holen schien:
    »Lasset uns beten, meine Brüder.«
    Und so lahm er war, kniete er nieder, mit starker Hand sich an der Lehne seines Sessels haltend.
     
    Die Heuernte von 1565 war ebenso vortrefflich wie die des Vorjahres, doch mochte ich an dem großen abendlichen Beisammensitzen nicht teilnehmen, da mir der Sinn wenig nach Scherzen stand: ich machte mir Sorgen um die kleine Hélix. Seit das Übel sie vor einem Jahr befallen, hatte sie sich nicht wieder erholt, im Gegenteil; sie bekam allmählich eine sehr schlechte Farbe, die Gesichtshaut war von ungesunder Blässe, und immer öfter plagten sie schlimme Schmerzen und Schwindelanfälle, dabei sie fast nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen konnte und beinahe den Verstand verlor.
    Mein Vater untersuchte sie mehrere Male, und da er zögerte, einen Schluß zu ziehen, wandte er sich an Herrn von Lascaux, trotz des Stirnrunzelns von Sauveterre, der es nicht gut fand, für eine Dienerin soviel Geld auszugeben. Aber mein Vater setzte sich darüber hinweg, denn er hatte Mitleid mit der kleinen Hélix und mehr noch mit Barberine, die sich darob verzehrte, ihre Tochter von Monat zu Monat hinfälliger zu sehen.
    Herr von Lascaux kam an einem Donnerstag in der Kutsche, begleitet von seinen beiden Gehilfen, die ihm, soweit mir erkenntlich, zu nichts dienten, es sei denn, ihm Ansehen zu verleihen. Als er hörte, daß die Kranke ohne Fieber sei, ließ er sie nackt ausziehen, tastete ihr – mit der Maske vorm Gesicht und Handschuhen an den Fingern – Glieder und Leib ab und fragte Barberine, ob Hélix in ihrer Kindheit Blattern, Masern oder Ziegenpeter gehabt.
    »Nein«, antwortete Barberine, der dicke Tränen über die Wangen kullerten, »sie hatte nichts von alledem.«
    »Das dachte ich mir«, meinte Herr von Lascaux.
    Nachdem er sich mit meinem Vater, seinen noch immer stummen Gehilfen und mir in die Bibliothek zurückgezogen hatte, marschierte er zunächst gravitätisch auf und ab, die Stirn geneigt unter der Last seiner gewichtigen Gedanken. Indes ließ er sich gnädig herbei, in einem Sessel Platz zu nehmen, nachdem mein Vater ihn höflich dazu eingeladen.
    »Nun, Herr von Lascaux, was meinet Ihr?« fragte schließlich mein Vater, ob des langen Schweigens ungeduldig geworden.
    »Der Fall«, sprach Herr von Lascaux, »ist völlig klar. Die Ursache der Krankheit liegt in der Masse verdorbenen Blutes, das bei diesem armen Mädchen nie durch Blattern, Masern, Ziegenpeter und andere, von der Natur zu diesem Zweck bestimmte Exutoria gereinigt wurde. Diese große Masse Blutes nun – mit den Jahren, weil nie purgieret, noch mehr sich verschlechternd – gelangte allmählich in die Eingeweide, die Leber, die Milz, die anderen Viscera und alle umliegenden Körperteile. Wodurch, da sich alles verdarb, auch das Hirn geschwächt

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