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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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und ziemlich dunklen Gewölbegang, den nur die eisenvergitterten Fensteröffnungen zum Weiher erhellten, und niemand konnte uns hören.
    Ich wiederholte meine Frage, schüttelte ihn zähneknirschend mit beiden Händen, von der unbändigen Lust gepackt, ihn mit Schlägen zu traktieren wie ein Stück Eisen auf dem Amboß.
    »Ich habe zu mir selbst gesprochen«, sagte er, ganz aufgelöst, weil er wohl gemerkt hatte, daß er dort, wo wir uns befanden, keinerlei Hilfe erwarten konnte.
    Ich wunderte mich sehr, daß er – obwohl so groß wie ich und von nicht geringer Körperkraft, ein sehr guter Reiter und gewandter Fechter – nie jene große Furcht hatte überwinden können, die er vor mir hegte, seit ich ihn mit sechs Jahren verprügelt hatte: aus Furcht und Haß, die einander bedingten, erwuchsihm ein fortwährender Groll. Oh, ich dürfte mich wahrlich nicht oft auf Mespech blicken lassen, wenn er dort erst Baron wäre!
    »Mein Herr Bruder«, sagte ich drohend mit eisiger Höflichkeit, »Ihr habt also nicht das Wort ›Schlampe‹ gebraucht?«
    »Nein, keineswegs!« sagte er mit zitternden Lippen.
    »Nun denn, so hütet Euch fürderhin, es zu gebrauchen; es würde mir sonst leid tun. Geht jetzt Eures Weges, Monsieur.«
    Und als er stillschweigend davonging, folgte ich ihm leise und versetzte ihm unvermittelt einen Tritt in den Hintern. Er wandte sich um.
    »Ihr habt mich getreten!« rief er empört.
    »Mitnichten«, sprach ich. »Ihr habt nicht das Wort ›Schlampe‹ gebraucht, und ich habe Euch nicht getreten. Wir müssen uns beide geirrt haben.«
    Ich pflanzte mich vor ihm auf, die Fäuste in den Hüften, und sah ihn an.
    Er warf mir einen bösen Blick zu, und ich wähnte schon, daß er sich auf mich stürzen würde; doch seine übermäßige Vorsicht (eine Tugend, die er weder von meinem Vater noch von Isabelle geerbt hatte) zügelte ihn auch diesmal. Er zog es vor, den Groll zu schlucken, statt sich in einem Wutausbruch davon zu befreien, wie ich es getan. Ohne ein Wort und kreideweiß vor unterdrückter Wut, machte er kehrt und ließ die Fetzen seiner Ehre in meinen Händen zurück.
    Da wurde mir bewußt, wie weise das Gebot meines Vaters war, in unseren Mauern weder Dolch noch Degen zu tragen; denn die gemeine Attacke von François hatte mich so aufgebracht, daß ich, wenn ich bewaffnet gewesen wäre, gewißlich blankgezogen hätte. Noch als François fort war, ließ mich der Gedanke daran nicht los. Obschon ich das Feld behauptet, ihn geschlagen und gedemütigt hatte, war ich noch immer wie von der eigenen Wut übermannt und hegte blutrünstige Gedanken, um die Schmähung zu tilgen, mit der er meine arme Hélix besudelt hatte.
    Ich lehnte mich gegen die Mauerwölbung, und als mein wahnsinniger Zorn endlich wich, fühlte ich mich schwach und traurig, der Knoten im Halse würgte mich, und ich bekam keine Luft. Trotzdem weinte ich nicht, ich sah meine eigene Einsamkeit sich vor mir dehnen, so lang und düster wie der gewölbteGang und seine feuchten Mauern. Denn ich wußte jetzt: die kleine Hélix würde langsam immer mehr dahinschwinden.
    Wie um mich in diesem furchtbaren Jammer zu widerlegen und meinem Vater ob seiner hoffnungslosen Diagnose unrecht zu geben, kam die kleine Hélix am Tage nach dem Besuch von Lascaux ganz plötzlich wieder zu Kräften und Frohsinn, ohne jedoch ihre frischen Farben zurückzuerlangen, die ungesunde Blässe des Gesichtes blieb. Ihr schlimmes Kopfweh indes sowie die Schwindelanfälle und Sehstörungen hatten nachgelassen. Überglücklich ob dieser Besserung verkündete Barberine überall auf Mespech, welch großer Gelehrter und vortrefflicher Arzt Herr von Lascaux sei, denn er habe die kleine Hélix ohne irgendeine Medizin geheilt, allein durch Berührung verschiedener Körperteile mit seinen schwarzbehandschuhten Händen.
    Diese Besserung sehend, verzieh ich meinem älteren Bruder François, und als ich ihn in dem Gewölbegang, der zum Fechtsaal führte, abermals allein antraf, blieb ich stehen und drückte ihm mein Bedauern aus, ihn getreten zu haben. Er hörte mich mit kalter Miene an und sagte mit ebensolcher Kälte, daß er die Sprache bedaure, welcher er sich bedient, daß ich es ihm jedoch nachsehen müsse ob der Sorge, die er um mich habe, weil er meine, daß ich mich in meinen Neigungen zu tief herabließe. Tatsächlich war die Entschuldigung beinahe ärger als die Beleidigung, aber ich akzeptierte sie, ohne eine Miene zu verziehen, grüßte meinen erstgeborenen Bruder und

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