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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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daß in Zeiten schärfster Glaubensverfolgung ein solches Bekenntnis nur die Liste der Märtyrer verlängern könne, ohne ihrer Sache den geringsten Nutzen zu bringen. Es sei daher angezeigt, noch zu warten, bis das Lager der Hugenotten in der Provinz wie im ganzen Königreich so weit erstarke, daß ein Sieg über den Feind möglich und denkbar sei.
    Wäre Sauveterre allein gewesen, hätte er wohl ohne Zögern sein Kreuz auf sich genommen und wäre geradewegs in den Tod gezogen, so sehr war ihm die fortwährende Verstellerei zuwider und so heftig empörte es ihn, mit ansehen zu müssen, wie sich allerorten die Irrtümer der Papisten ausbreiteten. Wenn er es dennoch nicht tat, dann nicht aus Furcht vor dem Scheiterhaufen – denn diesem Mann, der so überaus sparsam mit den Geldern Mespechs umging, bedeutete das irdische Leben gar wenig –, sondern vielmehr aus Angst, allein und ohne seinen viellieben Bruder in die Seligkeit des ewigen Lebens einzugehen. Unter dem Datum des 12ten Juni anno 1552 lese ich im Buche meines Vaters eine höchst anrührende Randbemerkung von der Hand Sauveterres: »Bin heute morgen um die fünfte Stunde aufgestanden. Die Sonne leuchtete vom klaren Himmel über den Wipfeln der Bäume, und die Vögel sangen zu Tausenden. Doch was ist all dies im Vergleich zu dem Glück und der Herrlichkeit, welche uns bei Gott dem Herrn zuteil wird, sobald wir unseren irdischen Leib verlassen. Oh, Jean, warum zögerst du noch? Ich weiß: der Gedanke, Mespech und die Deinen zu verlassen, erfüllet deinen irdischen Geist mit Trauer, doch sieh an, was du hienieden verlässest, und bedenke, was dir im Jenseits gegeben wird.«
    Worauf mein Vater den folgenden Tag vermerkte: »Haben wir Mespech dem alten Wolf entrissen, damit es der junge verschlingt, zusammen mit meinem Eheweibe und meinen viellieben Kindern François und Pierre?« Dies ist die erste Eintragung im »Buche der Rechenschaft«, wo ich zusammen mit meinem älteren Bruder Erwähnung finde.
    In der Folge dieses Zwiegespräches auf dem Papier führtemein Vater dann für sein Zögern eine Rechtfertigung ins Feld, welche Sauveterre noch mehr zu denken geben mußte: »In der Heiligen Schrift steht geschrieben:
Und wenn du der Stimme des Herrn, deines Gottes, gehorchen wirst, wird gesegnet sein die Frucht deiner Rinder, wird gesegnet sein dein Korb und dein Backtrog.
– Und in dieser Hinsicht gibt es auf Mespech wahrlich nichts zu klagen. Ist dies nicht der Beweis, daß Gott unser Haus als das seine ansieht, wenn er es – wie in seiner Heiligen Schrift verheißen – in dieser Welt derart blühen und gedeihen läßt? Dürfen wir dann niederreißen, was Er gebaut, und Heim, Nachkommen, Gesinde als auch Vieh dem Verderben preisgeben, indem wir uns dem Scheiterhaufen ausliefern und Mespech den Papisten? Nein, mein Bruder, nur Gott allein sind wir verpflichtet, unser Herz zu offenbaren; seine Feinde hingegen verdienen nichts als List und Lüge: Dem Teufel, was des Teufels ist …«
    Und so blieb es alle Sonntage dabei: indes der Pfarrer von Marcuays im Erdgeschoß des Ostturms vor Isabelle de Siorac und unserem Gesinde die Messe las, sangen die Brüder in dem Kabinett neben Sauveterres Schlafkammer, die Ohren vor den lateinischen Meßgesängen schließend, welche durch die vorgenannte Wandöffnung bis zu ihnen drangen, mit leiser Stimme die Psalmen Davids.
    Unter die offensichtlichen Segnungen, welche Gott der Herr auf Mespech herabregnen ließ, mischte sich indes auch Kümmernis und Herzeleid, so der Tod dreier Kinder in jungem Alter, welchen das »Buch der Rechenschaft« vermeldet. Doch liegt es mir fern, darin eine Strafe des Allerhöchsten zu sehen. Denn zu jener Zeit gab es im ganzen Lande keine Familie, welche nicht solch schmerzlichen Verluste zu beklagen gehabt; viele verloren gar mehr als die Hälfte der Kinder, welche sie in die Welt gesetzt.
    Einige Monate vor meiner Geburt finden sich im »Buch der Rechenschaft« meines Vaters wiederholt Eintragungen Sauveterres: »Ich bete für dich, Jean«, auf welche ich mir zunächst keinen Reim zu machen wußte, zumal mein Vater nicht darauf antwortete. Unter welchem Übel litt wohl Jean de Siorac, daß sein Bruder so viel für ihn betete und das Bedürfnis verspürte, dies so oft niederzuschreiben? Und welche Undankbarkeit hatte meinen Vater unversehens erfaßt, daß er Sauveterre niemals für die Gebete dankte?
    Ich muß hier etwas anmerken, was ich in meinen jungen Jahren nur dunkel ahnte und erst viel

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