Fortune de France: Roman (German Edition)
später begriff. Zwischen meinem Vater und meiner Mutter war schon in den ersten Tagen ihrer Ehe ein kleiner Religionskrieg ausgebrochen, welcher – bald offen, bald versteckt geführt – nur wenige Ruhepausen kannte. Denn Isabelle weigerte sich nicht nur, dem Glauben ihrer Väter abzuschwören, sondern war auch willens, eingedenk der unvorsichtigen Versprechen, welche Jean de Siorac vor der Eheschließung gegeben, ihre Kinder gemäß den Bräuchen der katholischen Kirche aufzuziehen. Als die Zeit meiner Geburt herannahte, wollte mein Vater einen biblischen Vornamen für mich auswählen. Allein meine Mutter wollte davon nichts wissen, und kaum hatte ich den ersten Schrei in diesem Tal der Tränen getan, ließ sie mich sogleich, ohngeachtet des Willens ihres Ehemannes, von dem Pfarrer, welchen sie eilends durch die Amme Barberine hatte rufen lassen, auf den Namen Pierre taufen, welchen sie mit Vorbedacht ausgesucht, da er sich herleitet von Petrus: der Fels, worauf ihre Kirche gebauet.
Vielleicht hatte ihr zorniger Unwille noch andere Gründe, denn eine Woche nach meiner Geburt brachte ein junges Weib in Taniès ein Kind männlichen Geschlechts zur Welt, dem Jean de Siorac den Namen Samson geben ließ, damit es mit Gottes Hilfe größer und stärker werde als seine nach papistischem Ritus getauften Kinder. Was später auf meinen älteren Bruder François zutraf, nicht aber auf mich.
Die Mutter meines Halbbruders Samson, ein Hirtenmädchen mit Namen Jehanne Masure, war nach den Worten Barberines ein hübsches, rechtschaffenes Frauenzimmer, deren Eltern, welche ein kleines Stück Land bearbeiteten, recht arm gewesen sein müssen, nach den Darlehen an Getreide, Heu, Salzfleisch und Geld zu urteilen, welche ihnen Jean de Siorac von dem nämlichen Zeitpunkt an gewährte, da Jean de Sauveterre in den Randbemerkungen des »Buches der Rechenschaft« für ihn zu beten begann. Beim Blättern in diesem Buch finde ich aus den Jahren der Not besonders zahlreiche Eintragungen zu solchen Darlehen, jeweils mit einer spitzen Anmerkung Sauveterres: »Wann zurückzuerstatten?« Worauf mein Vater stets geantwortet: »Nach meinem Belieben.« Doch das Belieben schien sich nie einzustellen, denn die Darlehen setzten sich über Monate und Jahre hinweg fort, genau verzeichnet und nie zurückgezahlt.
Etliche Seiten weiter merkte Sauveterre zu einem größeren Darlehen an: »Ist es nicht eine Schande?« Worauf Siorac unwillig erwiderte: »Jakob erkannte Lea, dann erkannte er Rahel und die Mägde seiner Frauen, und daraus ging der prächtigste und stärkste Stamm Israels hervor, welcher jemals zur Ehre Gottes auf Erden gelebt. Wäre es nicht vielmehr eine Schande, wenn ich meinen Sohn Samson barfüßig, zerlumpt und mit hohlem Bauch gleich einem hungrigen Wolfe umherlaufen ließe? Seied gewiß: sobald die Zeit seiner Unterrichtung gekommen ist, wird er mit seinen Brüdern zusammen auf Mespech leben.«
Doch Samson kam früher als vorgesehen, denn im November anno 1554 – da zählte er, wie ich, drei Jahre – erreichte uns die Kunde vom Ausbruch der Pest in Taniès, worauf mein Vater sogleich sein Roß satteln ließ und zum Hause Jehannes sprengte, ihr Mundvorrat für einen ganzen Monat zu bringen, weil das Dorf für die Zeit der Seuche von der Außenwelt abgeschlossen werden sollte. Jehanne flehte meinen Vater an, den kleinen Samson mitzunehmen, was er auch tat. Auf Mespech angekommen, verbrannte er sogleich alle Kleider des Kindes und wusch Samson mit heißem Wasser, nachdem er ihn mit Asche eingerieben und sein Haar abgeschoren.
Geschürt vielleicht durch heimliche Reden meiner Mutter, erhob sich eine große Aufregung unter unserem Gesinde wegen des Eindringlings, welcher angeblich »die Seuche einschleppte«. Mein Vater machte der Sache kurzerhand ein Ende, indem er sich mit dem Kinde in den Westturm zurückzog und es vierzig Tage lang eigenhändig versorgte, ohne den Turm weiter als bis zu der Schwelle zu verlassen, wo auf sein Geheiß Eßwaren und Bücher niedergelegt wurden.
Als Jean de Siorac den Ort seiner Klausur endlich verließ, erfuhr er, daß Jehanne Masure samt all den Ihren tot war. Die Pest hatte das halbe Dorf dahingerafft, darunter auch meinen Oheim Raymond Siorac, indessen seine beiden Söhne verschont, welche am Vortage des Kaufs von Mespech Cabusse geholfen, die Strauchdiebe Fontenacs im Beunes-Tal niederzumachen.
Samson, der mit meinem Vater den Turm verließ, erschien nun vor den Augen aller Burgbewohner: ein
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