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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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durch zusammengepresste Zähne.
    Es mag eine Stunde vergehen oder eine Ewigkeit, unmöglich, die Zeit zu bestimmen, und dann hat das Geräusch sich irgendwie geändert, ist jetzt vielleicht eine Oktave höher, oder es hat sich noch eine Stimme dazugesellt, ein anderes Gefühl. Chance riecht etwas, das sie an dunkle Orte denken lässt, in denen es ewig feucht bleibt, in die niemals die Sonne scheint.
    «Ich werde mich nicht fürchten», sagt sie wieder. «Was immer auch gerade mit mir passiert, ich lasse mir keine Angst machen.»
    «Niemand will dich erschrecken, Chance.» Und doch schreit sie auf, als es sie berührt und aus einer Wunde, die sich mitten im zerrissenen Herzen des Geräusches öffnet, wie Blut und Honig die leblose Stimme von Elise Alden zu tropfen scheint.
     
     
    Ihr Kopf schmerzt nicht mehr, aber der nassstinkende Geruch ist immer stärker geworden, saure Nacht und winzige weiße Pilze, man bekommt fast keine Luft mehr. Chance fährt sich instinktiv über Mund und Nase, um den Geruch fortzuwischen, sie würgt, und wo immer sie sich nun auch befinden mag, das hier ist jedenfalls nicht ihr Büro. Im Rücken fühlt sie raue Steine, eine moosbewachsene Mauer aus Fels, an der kühle, krumme Wasserbächlein von irgendwo weiter oben herunterlaufen. Entweder ist Chance blind, oder es gibt hier überhaupt kein Licht, entweder das eine oder das andere oder beides. Als sie einen zögerlichen Schritt nach vorn macht, schmatzt ihr Stiefel laut im Matsch.
    «Ich darf dir gar nichts zeigen», sagt Elise sanft ganz in der Nähe, ihre Stimme ist unverkennbar, aber auch verändert, welk, ein sterbender Garten von einer Stimme. «Ich glaube, sie verlieren die Geduld mit uns beiden», sagt sie.
    «Elise? Verfluchte Scheiße!» Chance tastet voller Panik im Dunkeln herum, zehn Finger als Ersatzaugen. «Ich will dich sehen! Bist das wirklich du? Dann lass mich dich sehen, verdammt.»
    «Es ist nichts, das du dir in deinen kühnsten Träumen ausmalen könntest, Chance, nichts, das du wiedererkennen würdest, und wenn du deine Augen hier unten je öffnest, wirst du nie wieder daran zweifeln.»
    Chance schwingt ihren rechten Arm wild in einem ungelenken Bogen in die Richtung, aus der sie die Stimme vermutet, die verwelkte Stimme, die unmöglich Elise sein kann, ganz gleich, wie sie klingt oder wer ihr das vorgaukeln möchte. Sie berührt etwas Feuchtes und Kühles, wie herunterhängende Streifen roher Leber, ein zitternder Vorhang aus Fleisch. Chance zieht die Hand zurück, die jetzt klebrig und kalt ist.
    «Es kommt doch Unsinn darin vor», flüstert die Stimme, bevor sie über Chance lacht und der Wind anfängt zu wehen. Ein lauwarmer Wind, der die Schwärze und die antarktische Kälte vertreibt. Chance reibt die Hand an ihrer Jeans ab, versucht, mit dem Flecken auch die Erinnerung an das wegzuwischen, was sie eben berührt hat. Der Wind trägt neue Gerüche heran, den gesunden Duft nach Grün und Wachstum, so riechen manchmal Sommertage oder ein Gewächshaus. Das süßsamtige Aroma ausschlagender Bäume und von Wasser, das in seinem natürlichen Bett über glitzernden Sand fließt – das Gegenteil dieser grenzenlosen Dunkelheit. Chance wendet sich ab von der Stimme, von der zitternden rohen Masse, die Elise’ Stimme gestohlen und zur eigenen gemacht hat.
    Und sie steht auf der abfallenden kiesbedeckten Böschung eines breiten Flusses, dessen kristallgrünes Wasser auf seinem Weg zum Meer ruhig vorüberfließt, leicht gekräuselt, in sanften Wirbeln unter der hochstehenden tropischen Sonne. Ein Fluss, neben dem der Mississippi sich schämen müsste, ein Fluss, den selbst der Amazonas beneiden würde, ruhelose Tiefe, die einen Wald voller sonderbarer Bäume durchschneidet, riesige Bärlappgewächse und gewaltige, immergrüne Schuppenbäume, so hoch und mächtig wie Redwoods, die uralten Äste breiten sich über einem wogenden Farnteppich aus. Alles ist still, abgesehen vom Fluss, dessen Wellen gegen den Waldrand schlagen, dem Seufzen des Windes in den Blättern und dem heiseren Summen von Insekten. Das Sonnenlicht des Paläozoikums fällt in kathedralenhellen Strahlen durch die Millionen von verschiedenen Grüntönen. Chance weiß, dass sie schon über die sedimentierte Erinnerung an diese Welt gewandert ist, ihre Schiefer- und Sandsteinruinen. So viele Jahre hat sie damit verbracht, deren kleinliche, karbonisierte Überreste zu enträtseln, und hier steht plötzlich alles vor ihr, vollkommen und zu neuem Leben erweckt.

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