Fossil
sie wäre wohl einfach von zu Hause abgehauen. Als sie sie dann zurückbringen wollten, stellten sie allerdings fest, dass die Blockhütte der Familie vollkommen abgebrannt war. Ihre Mutter und Großmutter waren beide tot, und soweit in Milligan bekannt, hatte sie sonst keine Verwandten.»
«Seit wann steckt man jemanden deshalb in die Klapse?»
«Nicht dafür. Hammond wusste nicht genau, was sie denn nun eigentlich gemacht hat, aber sie muss für die Bullen in Milligan eine richtig harte Nuss gewesen sein, weswegen sie sie nach Tallahassee weitergereicht haben.
Jedenfalls hat Dancy dann irgendwann den Mund aufgemacht, und was immer sie den Psychologen da erzählt haben mag, klang wohl verdammt nach dem Zeug, das sie uns gesagt hat, anschließend wollte sie nämlich niemand mehr so schnell herauslassen. Ungefähr einen Monat bevor sie aus der Anstalt ausgebrochen ist, muss sie einen anderen Patienten und jemanden vom Betreuungspersonal angegriffen haben. Daraufhin steckte man sie in eine Einzelzelle, höchste Bewachungsstufe für Selbstmordkandidaten oder so.»
«O Gott», murmelt Chance. Deacon lehnt sich vor, und die Vorderbeine des Stuhls berühren sanft wieder den Boden.
«Niemand weiß genau, wie ihr die Flucht gelungen ist, oder falls doch, wollten sie es Hammond zumindest nicht sagen. Nur, dass sie dabei einen Bewacher angegriffen hat. Irgendein armer Kerl, der sie aufhalten wollte und dem sie den Finger abgebissen hat. Chance, sie hat ihn abgebissen und mitgenommen. Seitdem wird sie in Florida und Georgia von der Polizei gesucht; aber sie war wie vom Erdboden verschluckt, bis zu dem Tag, als du sie in der Bibliothek getroffen hast.»
«Was willst du mir damit sagen, Deacon?» Chance setzt sich langsam auf und stemmt eine Hand gegen das Kopfteil des Betts, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. «Selbst wenn damit die Herkunft des Fingers geklärt wäre, wissen wir immer noch nicht, woher Dancy von meiner Großmutter wusste, oder dem Wasserwerkstunnel, Elise, den Trilobiten…»
«Es erklärt so einiges nicht, Chance, das stimmt schon. Aber es ist immerhin eine Spur. Damit können wir anfangen, und wir müssen irgendwo beginnen. Wir müssen etwas unternehmen. Und zwar jetzt. Du und Sadie, ihr dreht beide völlig durch, und bei mir dauert es auch nicht mehr lange. Das einzig Sinnvolle, das mir einfallen will, ist, erst einmal herauszufinden, wer Dancy wirklich ist, weil mit ihr alles angefangen hat, an dem Tag, als du ihr in der Bibliothek begegnet bist.» Deacon verstummt, denn er hört selbst, wie er klingt – voller Angst, verzweifelt, all diese Gefühle, die er Chance nicht offenbaren will, weil er damit alles nur noch schlimmer macht. «Ich habe nie behauptet, dass ich jetzt genau Bescheid wüsste», sagt er und steht auf.
«Da hat es nicht angefangen, Deacon», sagt sie. «Das weißt du genau.» Sie sieht zu ihm auf, und ihre Augen sind feucht und leuchten, ihre grünen Augen. Er hat fast vergessen, wie tief sie sind und dass es eine Zeit gab, in der alles Hässliche an ihm darin ertrunken ist.
«Wie meinst du das?»
«Die Nacht, in der wir in den Tunnel eingebrochen sind. Was immer da auch mit mir, dir und Elise geschehen ist. Damit hat alles angefangen. Elise wusste das. Sie hat versucht, mit mir darüber zu reden, aber ich wollte nicht, weil es mir zu viel Angst machte, und dann hat es sie umgebracht. Und meine Großmutter auch, Deacon, und Dancy.
Und was machen wir? Wir sitzen bloß herum und reden, tun so, als gäbe es da keinerlei Zusammenhang. Ich glaube, dass es das sogar so will.»
Dann weint sie zu sehr und kann nicht weitersprechen. Deacon schaut weg, starrt das Bücherregal am anderen Ende des Zimmers an. Das bisschen Mut, das er zusammengekratzt hat, reicht nicht aus, um mit diesem Zusammenbruch umzugehen. Sie soll aufhören damit, sofort aufhören, möchte er sie am liebsten anfahren, möchte sie bei den Schultern packen und schütteln, bis sie still ist. Er muss noch zu viel unternehmen, auf zu viele ungeklärte Fragen eine Antwort finden, falls sie alle diese Geschichte überstehen und bei Verstand bleiben wollen.
«Ich fahre nach Florida, Chance», sagt er. «Ich werde versuchen, mehr über Dancy in Erfahrung zu bringen. Wenn ich herausgefunden habe, welche Rolle sie in dieser ganzen Geschichte spielt, kann ich dich vielleicht davon überzeugen, dass es hier nicht um Monster geht und dass die ganze Geschichte auch nichts mit Elise’ Tod zu tun hat…»
«Nein, Deacon,
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