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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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doch dann hält sie es doch noch für zu früh, fürchtet, dass Chance vielleicht misstrauisch würde und sich dann für diese Frage nie mehr eine Gelegenheit ergibt.
    «Ich weiß nicht», sagt Sadie. «Wenn ich etwas wegwerfe, bereue ich es meistens hinterher.»
    Chance schaut zu ihr auf und wirkt dabei plötzlich so wütend, als ob Sadie sie gerade direkt zur Hölle gewünscht hätte. Gehe nicht über Los, ziehe keine 200 Dollar ein. Instinktiv legt Sadie ein paar Zentimeter mehr zwischen sich und das Bett.
    «Was soll das denn heißen?», fragt Chance, und Sadie schüttelt den Kopf.
    «Nichts, gar nichts. Ich finde nur, dass du das Buch nicht wegwerfen solltest, weil es deiner Großmutter gehört hat und du dir morgen vielleicht wünschst, du hättest es behalten.»
    «Du weißt nichts über dieses Buch, Sadie.» Chance knurrt es beinahe und schwingt das Notizbuch wie ein Baptistenprediger bei einem Erweckungsgottesdienst die Bibel. Es steckt voller Verdammnis und Geheimnisse, die sie jederzeit einsetzen kann wie eine Waffe. «Du weißt nicht, welche Bedeutung es hat, dieses Buch, was darin steht.» Chance lässt immer wieder den Zeigefinger auf das Cover niederfahren, sticht darauf ein, während sie redet, und ein paar Tropfen Spucke und Tränen, die bis zu ihrem Mund heruntergelaufen sind, fliegen von ihren Lippen und besprenkeln Sadies T-Shirt.
    «Dann erzähl es mir, Chance.» Bitte, jetzt ist es heraus, denkt sie, ob es nun der richtige Zeitpunkt war oder nicht. «Ich bleibe bei dir, und du kannst mit mir reden. Schließlich sind wir doch beide Teil dieser Geschichte. Denk nur nicht, ich würde dir vielleicht nicht glauben.»
    «Ich glaube mir nicht», sagt Chance und lässt das Notizbuch fallen, das auf den Boden knallt. Sadie starrt es einen Moment lang an und sucht nach Worten, denen sie vertrauen darf, den richtigen Worten, die man weder falsch verstehen noch einfach übergehen kann.
    «Chance, glaubst du, Dancy ist tot?»
    «Warum fragst du das nicht Deacon? In letzter Zeit scheint er mit Antworten besser zu sein als ich.» Damit legt Chance sich hin, den Kopf am Fußende des Betts, rollt sich zu einer Fötenkugel zusammen und gibt so ein kleineres Ziel für Sadies nächste Bemerkung ab. Chance schnieft und drückt das Gesicht in die Patchworkquadrate des Quilts.
    «Weil», sagt Sadie und beugt sich nach unten, um das Notizbuch aufzuheben, «wir beide genau wissen, was Deacon von Dancy hält, er denkt, sie wäre irgendein Psycho. Dass sie tot ist oder von irgendwo geflohen. Nur, dass sie in Schwierigkeiten sein könnte, darauf kommt er nicht.»
    «Mir tut der Kopfweh, lass mich jetzt in Ruhe, Sadie. Ich habe Kopfschmerzen und will einfach nur schlafen.»
    Doch Sadie schlägt das Notizbuch auf und blättert, bis sie die erste Seite mit einer Zeichnung des Sterns und der siebenseitigen Figur darin gefunden hat. Dann dreht sie das Buch um, damit Chance es erkennen kann.
    «Beantworte mir nur eine Frage, Chance, nur diese eine, dann gehe ich und lasse dich in Ruhe. Mein verdammtes Wort drauf.»
    Chance sieht entweder Sadie oder das Buch aus einem geröteten Auge an, nur aus dem rechten, weil das linke noch vom Quilt bedeckt wird. Die Seite ihres Gesichts, mit der sie auf das Steuer geprallt ist, nimmt allmählich das Lilaschwarzrot einer reifen Pflaume an.
    «Erklär mir, was das ist. Dieses Bild, das deine Großmutter immer und immer wieder gezeichnet hat. Sag mir, was es bedeuten soll und was es mit dem Wasserwerkstunnel zu tun hat.»
    «Ich weiß es nicht», sagt Chance so leise, dass Sadie sie fast nicht versteht. «Ich weiß nicht, was das sein soll.»
    «Dancy ist nicht tot, Chance, und ich schwöre dir bei Gott, dass ich sie finden kann, aber es muss mir jemand helfen. Du musst mir helfen, weil Deacon es nicht tun wird.»
    Chance’ geschwollenes Lid flattert, und dann schließt es sich so langsam wie ein Theatervorhang nach der Vorstellung. Dafür öffnet sie aber den Mund, weit genug, dass Sadie weiße Zähne und eine rosa Zunge erkennen kann. Der Mund verzieht sich breit zu etwas, das ein Lächeln sein könnte oder aber etwas vollkommen anderes.
    «Bitte, Chance. Tu mir nur den einen Gefallen.» Sadie flüstert, und unten ruft Deacon nach ihr, ruft ihren Namen in der Küche und im Wohnzimmer. Sie klappt das Notizbuch zu und beugt sich näher zu Chance, so dicht, dass Chance sie ohne jeden Zweifel hören muss.
    «Ich weiß, dass er dich noch immer liebt. Hilf mir, und ich lasse euch beide in Ruhe,

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