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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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und nur eines der Vorderlichter funktioniert, Motorhaube und Kühler sind so zerbeult, als wäre ein Dinosaurier darauf herumgetrampelt, weil Soda damit vor ein oder zwei Jahren bekifft in eine Leitplanke gefahren ist. «Mann, Soda», hatte Deke gesagt, «die Kiste sieht aus, als wäre Godzilla da draufgetreten.» Sie wünschte, er wäre jetzt hier. Wahrscheinlich ist er schon in Florida, trotzdem schadet der Wunsch ja nicht.
    «O ja, wenn es für Wünsche Geld gäbe», sagt sie, wischt sich wieder über das verschwitzte Gesicht und starrt hinüber zum Blockhaus mit seinen beiden kleinen Fenstern. Wie blicklose Augen sehen die aus, nur dass sie zu weit auseinanderstehen. Dort drinnen ist es bestimmt richtig kühl. Sie stellt sich Schatten vor, die nie länger oder kürzer werden, all jene Orte, die ewig unberührt bleiben von der alles verdorrenden Sommersonne Alabamas. Sadie schließt die Augen, ihr ist so heiß, und sie ist so erschöpft von dem Weg hierher, und diese Gedanken trösten sie, erinnern sie daran, dass es eine Zuflucht gibt vor dieser Hitze, 40 Grad im Schatten, 45 sogar. Wenn sie noch viel länger hier draußen bleibt, wird ihr die Sonne das Gehirn wegbrennen.
    «Es belügt dich», sagt Dancy, und die brunnentiefe Stimme hallt jetzt noch mehr. «Hier gibt es keinen Trost, hier unten verbrennt nur alles.»
    Sadie öffnet die Augen nicht, sie hat ihre Lektion gelernt, vielleicht ist das, was von Dancy geblieben ist, nichts, das man sehen könnte, oder sie spricht von einem weit entlegenen Ort mit ihr.
    «O Dancy, ich hätte mir Mühe geben müssen, die beiden zu überzeugen…»
    «Geh nach Hause, Sadie, bitte. Solange noch Gelegenheit dazu ist. Du bist nicht verantwortlich für mich. Bist es nie gewesen…» Und dann ein Geräusch wie die atmosphärischen Störungen im Radio, kein Geräusch von außen, sondern in ihrem Kopf, weißes Rauschen, und es brennt unheimlich. Wie Eiskristalle, die sich unter ihrer Haut bilden, blühende Glasblumen, die sie innerlich zerreißen, eine vereiste Zelle von der anderen zerren. Sie ringt nach Luft und öffnet die Augen. Einen Moment lang glaubt sie wirklich, sie könnte ihren Atem sehen, weniger als einen Moment lang, dann verstummt die Störung in ihrem Kopf, wird zu einem leisen Knacken, und endlich ist es ganz still.
    Auf der anderen Seite des Grabens steht Dancy Flammarion verloren im nutzlosen Schatten der Bäume. Sie neigt den Kopf und hebt die linke Hand, die traurige Vergebungsgeste eines Gipsheiligen, und Sadie ruft nach ihr. Schreit ihren Namen, doch da weht plötzlich eine Brise durch den Park, ein Wind mit dem Geruch nach Schimmel und stehendem Wasser, der die Blätter der Bäume rauschen lässt und Dancys Kleider und Haar aufweht, während sie sich so vollkommen auflöst wie eine Träne im Meer.
     
     
    Die Baumschere hat auf dem Haken des Vorhängeschlosses nur ein paar Beulen und Kratzer hinterlassen, entweder sind ihre Klingen nicht scharf genug, oder Sadie ist zu schwach oder beides. Als sie damit fertig ist, die Figur vorn aufs Blockhaus zu malen, fallen bereits seit fünfzehn Minuten Blut und kleine Fleischfetzen vom wolkenlosen Julihimmel. Irgendwo aus dem Tunnel ist Lachen zu hören, ein tiefes, kehliges Kichern, von einer Kreatur, die sich irgendwo hinter den Rohren versteckt. Das Lachen und dann der grausige Klang von Blut und Fleisch, das auf den Boden klatscht, beides beweist Sadie, dass sie auf dem richtigen Weg ist, das weiß sie. Billige Horrorfirmtricks, die sie einschüchtern sollen, da ist doch alles klar.
    Sie wischt sich das Blut vom Gesicht und tritt ein paar Schritte vom Blockhaus zurück, wobei sie im Matsch fast ausrutscht und hinfällt. Der Boden unter ihren Füßen hat sich zutiefst rot verfärbt, ein Rot, das fast Schwarz ist. Der Matsch ist mit sich windenden weißen Körperchen gesprenkelt, hungrigen Maden und Larven, und Sadie gleitet der Pinsel aus den feuchten Fingern. Er landet in einer kleinen Pfütze. Kleine Klümpchen und Knorpel spritzen ihr gegen den Knöchel. Sadie starrt auf die großen schwarzen Linien, die sie auf die Steine gemalt hat. Die Wand ist fast so voller Blut wie der Matsch, aber die Linien sind noch immer klar zu erkennen, der Stern, das Heptagon darin, und Sadie steht unter dem blutenden Himmel, derselbe verwundete Himmel, den sie vor zwei Tagen erfunden hat, und starrt durch die Eisenstäbe in den Mund des Wasserwerkstunnels.
    Lauf, Sadie, lauf schnell weg, aber das ist nicht Dancy, sondern die

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