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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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ziemlich schlechte Imitation eines verschwundenen Mädchens, es will nur, dass sie wegläuft, weil es bestimmt Spaß macht, sie zu jagen.
    «Komm raus, du Wichser, ich habe langsam keinen Bock mehr, auf dich zu warten.» Noch einmal lacht die im Tunnel hockende Dunkelheit sie aus, aber Sadie muss nun wirklich nicht mehr lange warten.

KAPITEL 12
    TROLLHOLM
     
     
     
    Es ist noch nicht einmal halb eins, aber die Hitze hat sich bereits in einen Dämon verwandelt, der die eintönige Landschaft im Süden Alabamas gnadenlos heimsucht, eine gierige Hitze, die Kiefern und sandigrote Erde austrocknet – und Deacon, der in dem beschissenen kleinen Chevy eingesperrt ist. Schweiß tropft ihm aus den Haaren, von der Stirn und in die Augen, und er starrt angestrengt durch die insektenverschmierte Windschutzscheibe in den brennenden Tag und auf den lakritzschwarzen Highway 55, das wasserartige Flimmern über dem Asphalt macht ihn nur noch durstiger. Er säuft schon ständig Gatorade, aber das orange Zeug schmeckt entfernt nach Kinderaspirin und löscht ansonsten den Durst kaum. Der heiße Wind, der durch das offene Fenster hereinzischt, riecht nach schmelzendem Teer und den dichten Wäldern entlang des Straßenrands. Es fällt Deacon nicht schwer, sich vorzustellen, dass die Bäume und Sträucher an beiden Seiten näher und näher rücken, den Highway zurückerobern, und der Fluchtpunkt am Horizont beweist lediglich den Erfolg ihres Manövers.
    Er bemüht sich, weder an Chance und Sadie zu denken, noch daran, was er möglicherweise in Milligan herausfinden wird oder auch nicht, und er schaut auf den Kilometerzähler. Abgesehen von dem funktioniert nicht viel im Armaturenbrett, gar nichts genau genommen. Jedenfalls ist er fast zweihundert Meilen gefahren, seit er Birmingham verlassen hat. Zweihundert Meilen über die Interstate, und der Windzug durch die offene Scheibe wurde kaum kühler, als er schneller fuhr. Jetzt macht er sich ziemliche Sorgen wegen der Polizei, hier können sie sich überall gut verstecken, geduldig warten, Radarfallen am schmalen Highway aufstellen, also versucht er, nicht schneller als hundert zu fahren. Allerdings kann er das nur nach Gefühl tun, denn der Geschwindigkeitsmesser ist auch kaputt.
    Aus dem Radio dröhnt Country, nichts als Country- und Gospelprogramme hier im tiefen Süden, und so hat er sich für das geringere Übel entschieden, lauscht nun einem Schwall aus Twang-Gitarren, Garth Brooks und Trisha Yearwood, immerhin etwas Gesellschaft. Etwas anderes als das Geräusch der Räder auf der Straße, das ganze beängstigende Lautorchester des Motors, das in unregelmäßigen Abständen zu hören ist.
    Er befindet sich jetzt anderthalb Kilometer hinter Red Level, einem Ort, der überhaupt kein Ort ist, sondern nur eine Kreuzung mit einer Tankstelle und zwei verlassen aussehenden rostigen Wohnwagen. Da sieht Deacon den Anhalter neben der großen Pepsi-Werbetafel. Er ist sehr groß und steht ohne Hut, aber mit einem alten grünen Rucksack über der Schulter in der Sonne. Dabei hält er ein mit Malstift beschriebenes Pappschild hoch, auf dem gut leserlich ENTERPRISE steht. Als er den Chevy kommen sieht, lächelt er, hebt das Schild etwas höher, damit der Fahrer es auch auf jeden Fall sieht. Ein bisschen Gesellschaft kann eigentlich nicht schaden, denkt Deacon, besser als das verdammte Radio, obwohl der Typ nicht unbedingt vertrauenswürdig aussieht, aber wer tut das schon? Er fährt rechts ran und wirbelt dabei eine riesige Wolke aus Sand und Staub auf. Eine Sekunde später beugt sich der Anhalter durch das Fenster auf der Beifahrerseite und lächelt das breiteste Lächeln, das Deacon jemals gesehen hat. Große nikotinbefleckte Zähne kommen zum Vorschein, schmutzig gelb wie altes Elfenbein oder Knochen. Der Mann streckt den Arm ins Auto und schüttelt Deacon die Hand. Seine Augen sind schon fast schwarz, ölig dunkle Augen, und das lange schwarze Haar liegt dicht am Kopf an.
    «Mann, bin ich Ihnen dankbar», sagt der Anhalter. «Ich stehe da schon seit dem Morgengrauen herum, und bisher ist niemand auch nur langsamer gefahren, um auf das Schild zu schauen. Außerdem bringt die Sonne einen echt um.»
    «Ich kann Sie nur bis Andalusia mitnehmen», sagt Deacon, während der Mann ihm immer noch die Hand schüttelt, auf und nieder, auf und nieder wie eine Pumpe, als warte er darauf, dass Deacon plötzlich ein Schwall kaltes Quellwasser aus dem Mund fließt. «Da fahr ich weiter nach Florida.»
    «Ja?

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