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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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Zahlen, den Würmern ist das gleich. Würmer können vielleicht nicht rechnen oder schreiben, dafür sind sie zumindest schlau genug, im Boden zu bleiben, wo die Sonne ihnen nicht auf den Kopf brennt.»
    Deacon findet langsam, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, diesen Anhalter mitzunehmen, vielleicht hätte er sich besser mit den Straßengeräuschen und Country zufriedengegeben. Es gibt so schon genug Dinge, die ihn ganz verrückt machen, auch ohne dass der Kerl ein Tarotdeck aus der Tasche zieht und ihm Vorträge über die Kabbala und Würmer hält.
    «Sämtliche Umstürze der Welt werden von dieser Karte symbolisiert», sagt der Mann. «Die Zerstörung von Ordnung und Traditionen, sämtlichen Werten. Alles nur noch eine Kerze im Wirbelsturm. Erleuchtung, aber zu einem hohen Preis.»
    «Sie klingen ein bisschen wie ein Prediger», sagt Deacon, versucht, das Ganze auf die heitere Schiene zu ziehen, aber der Mann nickt und steckt die Karte zurück in den Stapel.
    «Tatsächlich?», fragt er. «Na ja, so etwas bin ich auch früher einmal gewesen, unter anderem. Und werde es wahrscheinlich eines Tages wieder sein, denke ich.» Damit dreht er die zweite Karte um. «Die Königin der Münzen, falsch herum», sagt er. Dieses Mal sieht Deacon sich die Karte nicht an, sondern schaut weiter stur nach vorn, auf die Straße, die Kiefern und einen Himmel ohne Geborgenheit.
    «Vielleicht sollten Sie heute gar nicht hier auf dieser langen, heißen Straße Richtung Meer sein. Vielleicht sollten Sie eigentlich etwas ganz anderes tun. Vernachlässigte Pflichten, und die Königin hier meint, dass Sie schon den ganzen Vormittag genau darüber nachdenken.»
    «Tut sie das?» Deacon versucht, es skeptisch klingen zu lassen und nicht nervös, aber seine Kehle ist so trocken, dass es fast wehtut. Wenn er doch nur ein verdammtes Bier hier hätte, ein lausiges Bud oder Sterling oder PBR, dann würde dieser Wichser ihm möglicherweise nicht solche Angst machen. «Was sagt sie denn sonst noch so?»
    «Es gibt jemanden, dem Sie nicht vertrauen, sagt sie, jemanden, der nicht das ist, was er zu sein scheint.» Er schiebt die Königin der Münzen unter den Stapel und dreht eine andere Karte um. «Acht der Stäbe. Aber wir wissen ja bereits, dass Sie sich auf einer Reise befinden, die Frage ist nur, was Sie an ihrem Ende erwartet. Was wird noch da sein, wenn Sie nach Hause zurückkehren?»
    «Na, das werden Sie mir vermutlich als Nächstes erzählen», antwortet Deacon mit einem Seitenblick auf den Mann, und es ist in Ordnung, dass er jetzt verärgert klingt. Wenn es ihm schon nicht gelingt, Unglauben zu heucheln, kann er wenigstens deutlich machen, dass ihm die Nummer hier langsam auf die Nerven geht. Vielleicht kapiert der Kerl es dann ja und steckt die Karten weg.
    «Toter Hund», sagt der Mann und deutet auf die Windschutzscheibe. Deacon schaut hin und erkennt im letzten Moment den von der Hitze aufgequollenen Körper, der genau auf seiner Spur liegt. Der Kadaver wird von einer Wolke Schmeißfliegen umschwärmt und ist derart angeschwollen, dass es auch ein Hirsch sein könnte und kein Hund. Deacon reißt das Steuer hart nach rechts, aber es hilft nichts mehr, er fährt mitten durch Fell, stinkendes Fleisch und Knochen. Die schwarzen Reifen quietschen, als der Wagen kurz hinten ausbricht. Zuerst denkt Deacon schon, er hätte die Kontrolle über das Auto verloren und dass sie gleich in die Bäume rasen.
    «Heilige Scheiße, war das eine reife Tomate», gackert der Anhalter auf dem Beifahrersitz, lacht wie ein Irrer, ein hohes, hysterisches Lachen.
    «Halten Sie das Maul, verdammt!», knurrt Deacon ihn an. «Wir sind eben fast krepiert, Herrgott nochmal!» Doch das Auto liegt schon wieder in der Spur, fährt unter dem blauen Sommerhimmel brav geradeaus, als wolle es ihn damit Lügen strafen. Als habe es ihm die Sache mit dem Radioknopf übelgenommen und deshalb beschlossen, sich auf die Seite des Anhalters zu schlagen.
    «Hey, Sie sind schließlich über das Vieh drübergefahren und nicht ich», sagt der Mann, hört auf zu lachen und beginnt wieder, die Karten zu mischen. «Schreien Sie mich nicht an, nur weil Sie nicht auf die Straße aufpassen.»
    Der widerliche, kränklich-süße Geruch nach totem Tier ist so stark, dass Deacon die Augen tränen. Er schluckt und versucht, es dabei nicht auch noch zu schmecken, tut es aber doch. Er riskiert einen schnellen Blick in den Rückspiegel, doch was immer von dem Hund übrig geblieben sein

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