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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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mag, ist bereits zu weit entfernt, um es noch zu erkennen.
    «Sie haben noch einen langen, langen Weg vor sich, Mr.Silvey, und in diesem Tempo werden Sie es auf keinen Fäll schaffen.»
    Deacon will gerade etwas erwidern, will dem Kerl sagen, wo er sich seine Kommentare hinstecken kann, will rechts ranfahren und ihn rausschmeißen in die Sonne, wo sein Klugscheißerhirn samt Esomacke in seinem Schädel ausbacken kann wie eine heiße Pfanne voller Eier und Grieben – als ihm auffällt, dass er dem Anhalter seinen Namen gar nicht gesagt hat. Der große Fremde hat ihn nie gefragt, und Deacon ist ziemlich sicher, dass er nicht von sich aus erwähnt hat, wie er heißt. Er starrt durch die Windschutzscheibe auf einen Fleischfetzen, der auf der Motorhaube des Chevy klebt, dunkel und ölig sieht der aus. Das könnte eines der beiden Hundeohren sein.
    Der Anhalter mischt und seufzt dabei.
    «Oh, ich kann fühlen, dass Sie selbst etwas hellsichtig sind. Nur ein bisschen, zugegeben, kein Vergleich mit dieser kleinen Albinohexe. Die hat so klar gesehen wie ein Kristall.»
    Weit und breit keine andere Straße, kein Haus und keine Raststätte, soweit Deacon es erkennt, also kann es noch kilometerlang so weitergehen. Er leckt sich über die trockenen Lippen und tritt das Gaspedal durch. Wenn er Glück hat, macht vielleicht irgendwo ein Polizist Geschwindigkeitskontrollen.
    «Du versuchst schon dein ganzes Leben lang, den Kopf in den Sand zu stecken, stimmt doch, Deke? Willst mit diesem ganzen Hokuspokus nichts zu tun haben. Habe ich nicht recht?»
    «Ich habe mich nicht darum gerissen, falls Sie das meinen», sagt Deacon. «Geholfen hat mir das allerdings nicht viel.» Das Gaspedal des Chevy ist jetzt halb durchgedrückt, und der Wagen fliegt über eine Brücke, darunter ein schmaler namenloser Bach, an dessen Ufern Zypressen und Louisianamoos wachsen. Deacon glaubt, etwas würde sich über das dunkle Wasser bewegen, eine formlose Gestalt, die in der Sonne glänzt, aber dann sind sie an dem Bach vorüber, und der Mann redet weiter.
    «Nein, wohl nicht, vermute ich. Aber manchmal passiert Leuten eben echte Scheiße, ohne dass sie es irgendwie verdient hätten.»
    «Hatte Dancy es verdient?», fragt er. Der Mann schnalzt zweimal mit der Zunge und dreht wieder eine Tarotkarte um.
    «Fahr besser nicht so schnell, außer du möchtest die Nacht unbedingt in einem beschissenen Provinzgefängnis verbringen.»
    «Tatsächlich war das ungefähr mein Plan.»
    Der Anhalter schnalzt noch einmal mit der Zunge, es klingt seltsam kalt und wie ein Insektengeräusch, kalt trotz der Hitze. «Diese Karte», beginnt er. «Nein, lassen wir die Karte. Du weißt selbst, dass du die Wahl hast. Immer gehabt hast. Vergiss den Albino und den ganzen Rest dieser durchgedrehten Scheiße, fahr zurück zu deinem klugen Mädchen in ihrem großen alten Haus und tu, als wäre das alles nie geschehen. Und sorg dafür, dass sie es genauso macht.»
    «Einfach so?», fragt Deacon. Der Chevy rattert und knattert, als würde er gleich auseinanderfallen, er muss inzwischen mindestens 140 fahren. Das Steuer beginnt zu flattern. «Solange ich wegsehe, komme ich ungeschoren davon. Klingt sehr einfach.»
    «Von einfach war nicht die Rede. Die hässliche Wahrheit zu verdrängen ist verdammt nochmal niemals leicht gewesen, aber du und Chance würdet dadurch wahrscheinlich länger leben. Jetzt bist du dran. Deine Entscheidung, Deacon. Ich weiß ja nicht, aber irgendwie siehst du in meinen Augen nicht so richtig wie ein tapferer Held aus. Schlafende Hunde soll man nicht wecken, falls du mich verstehst.»
    Der Mann lächelt, zeigt all seine scharfen gelben Zähnen, und Deacon muss schon wieder husten, weil plötzlich so viel roter Staub im Auto ist, dass er kaum etwas erkennen kann. Er nimmt den Fuß vom Gas und tritt hart auf die Bremse. Das Auto steht auf einmal vollkommen still, ganz unmöglich still, während der Motor spuckt, absäuft und ruhig ist. Das Radio spielt noch immer lauthals, das Radio und die Zikaden mit ihrem an- und abschwellenden Gekreische oben in den Bäumen. Er späht durch den Staub, durch die Windschutzscheibe auf die verblasste Pepsi-Werbetafel, und er muss nicht erst zweimal hinsehen, um zu wissen, dass es wieder dieselbe ist, dass er sich nicht weiter als eine Meile hinter Red Level befindet. Außer ihm ist niemand im Auto und auch kein Rucksack oder Pappschild. Neben Deacon auf dem Sitz liegt eine Tarotkarte. Der Turm. Deacon sitzt noch eine Weile da

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