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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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den Arm aus, und etwas Kleines, Schwarzes krabbelt über ihre Hand. Etwas Lebendes, das feucht glitzert in der Dämmerung. Sie schaut von dem Trilobiten zu Deacon und dann wieder zurück.
    «Du wirst dir den See ansehen, weil du schon so weit gekommen bist. Sie erwarten dich dort unten, die, die sich meine Mutter geholt haben. Das, was seit hundert halben Jahren die Fluten staut, hungrig auf Beute giert, grausam und hungrig…»
    «Du zitierst da nur Beowulf», sagt er. Es soll nicht wütend klingen, tut es aber trotzdem. «Das weiß ich.»
    Und sie lächelt wieder, aber ein anderes Lächeln als zuvor, ein breiteres Lächeln, weil er langsam etwas kapiert, ein Lächeln, weil sie stolz auf ihn ist.
    «Ja, ganz genau», sagt sie. «Hast du etwa geglaubt, es gäbe mehr als eine Geschichte auf der Welt? Eine ist wie die andere, sie kommen in all unseren Geschichten vor, allen wichtigen jedenfalls. Der Pfad bringt dich zum See, Deacon. Bleib auf dem Pfad, und glaube nichts von dem, was sie dich glauben machen wollen, dann kannst du immer noch der Held dieser Geschichte werden. Oder falls Chance die Heldin ist, kannst du sie retten. Nur Antworten gibt es nicht, nichts von alledem wird jemals irgendeinen Sinn ergeben, nicht so, wie du es dir wünschst, also versuche nicht länger, es mit Gewalt so zu drehen.
    Pass gut auf, Deacon, in diesem Wald gibt es Schlangen und eine Meute Hunde.» Dann ist sie verschwunden, als wäre sie nie da gewesen. Geblieben sind nur der Schornstein, die rauschenden Kiefernnadeln und all die geduldigen, ewigen Stimmen des Waldes.
     
     
    Deacon schiebt den letzten Vorhang aus Schlingpflanzen und wildem Wein beiseite, dann steht er auf einem brüchigen, kreideweichen Steinblock am Rande des Teichs. Das Geräusch seiner Schritte verjagt Dutzende kleiner Frösche aus dem Dickicht von Binsen und Bambus, das am Wasserrand wächst. Sie platschen in den Teich und verschwinden unter der sich sanft kräuselnden Oberfläche. Links von ihm befindet sich ein kleiner Wasserfall, der Wampee Creek fällt hier über einen nicht sehr hohen, aber geraden Aufschluss aus gelblichweißem Kalkstein. Die Felsen sind mit Algen und Moos bedeckt, und wenn Chance hier wäre, könnte sie ihm sagen, wie alt diese Steinformationen sind, könnte ihm die korrekten wissenschaftlichen Bezeichnungen für die Abdrücke von Schnecken und Muscheln unter seinen Füßen nennen.
    Der Teich ist breit, bestimmt zehn oder zwölf Meter, und das Wasser so klar, dass er bis auf den Grund sehen kann. Ein Wald aus Seegras, der sich in den Wellen wiegt, aufblitzende, vorüberschießende Wesen wie Silberfische, und zu dieser späten Stunde tummeln sich eigenartige Schatten dort unten zwischen versunkenen Baumstämmen und aufmerksamen Schildkrötenaugen. Ein Karsttrichter, hat Toomey gesagt. Das muss einmal eine kleine Höhle in den Felsen gewesen sein, überlegt Deacon, über die der Bach hinweggeflossen ist. Und dann eines Tages wurde ihre Decke zu dünn, zu dünn für den Waldboden und die Millennien heruntergefallener Kiefernnadeln und Mulch. Dann muss es den entscheidenden Augenblick des Zusammenbruchs gegeben haben, in dem sich die Erde öffnete und das Wasser in die Öffnung rauschte, um die Leere aufzufüllen. Deacon kniet sich an den Rand des Teichs, starrt darüber hinweg auf die schweigenden Bäume am anderen Ufer, ihre knorrigen, knotigen Wurzeln sehen aus wie flechtengraue Knöchel, durstige Finger, die der Erde entfliehen und glücklich unter dem kalten kristallenen Wasser verrotten.
    Der Weiler…wo der Fluss aus den Bergen in der Dunkelheit unter den Hügeln verschwindet, eine unterirdische Flut.
    Drüben liegt eine große Schlange, wohl eine Mokassin. Sie streckt sich in der Wärme der letzten Sonnenstrahlen aus und beobachtet ihn dabei aufmerksam. Eine herbstfarbene Schlange, eine Vipernkette aus dunklen Brauntönen, roten und goldfarbenen Schuppen. Er nickt ihr respektvoll zu, verspricht ihr still, angemessenen Abstand zu wahren, falls sie bereit ist, auf den Handel einzugehen.
    «Nur keine Angst, Mr. Snake», sagt er, «ich bin so schnell wieder weg, dass Sie mich kaum bemerken.» Albernheiten, die ihm Gesellschaft leisten an diesem einsamsten Ort, an dem er je gewesen ist. Die Einsamkeit scheint aus dem Boden aufzusteigen und wie Sirup von den Ästen oben zu tropfen. Kein wirklich böser Ort, aber was die Menschen hier getan haben, hat einen Flecken oder einen Bluterguss hinterlassen. Er hat weiß Gott genug böse Orte

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