Fossil
Geologe», sagt Dancy, ohne zu lächeln, aber es liegt etwas Weiches in ihrer Stimme, eine beruhigende Stimme, insbesondere da Chance’ Nerven summen wie die Saiten einer E-Gitarre, zirpen wie die Zikaden in der feuchtwarmen Nacht.
«Ja», sagt Chance, «das war er.» Deacon kommt zurück zum Haus, der Kombi hinter ihm wendet, die Hinterräder schleudern etwas Kies in die Luft. Bestimmt ist der Fahrer sauer, weil Deacon mit dem Trinkgeld geknausert hat, denkt Chance. Deacon hat das Wechselgeld eingesteckt und hofft jetzt bestimmt, dass sie vergisst, danach zu fragen.
«Okay, kommt rein», sagt sie zu Sadie und dem Albinomädchen, und die folgen ihr. Chance lässt die Tür offen für Deacon.
Jetzt sitzen sie alle zusammen in Chance’ Wohnzimmer, Chance an einem Ende des langen Sofas und Sadie am anderen, Deke sitzt auf einem karierten Sessel, dicht neben dem ausgeschalteten Fernseher und Dancy Flammarion auf einem Hocker mitten im Zimmer, Chance gegenüber, der Seesack, den Deacon vorhin getragen hat, liegt jetzt neben ihren Füßen.
«Ich kann Monster sehen», sagt sie noch einmal.
Chance hört auf, sie anzustarren, und schaut hinüber zu Deacon. Er zuckt nur kurz und etwas zögerlich die Schultern und reibt sich dann heftig die Augen, als ob sie wehtun, als ob das Licht blendete, und bedeckt sie dann mit der rechten Hand.
«Monster», sagt Chance, wiederholt das Wort vorsichtig, als ob sich hinter diesen beiden Silben ungeahnte Geheimnisse verbergen, etwas, das ihr nicht aufgeht, ein Geheimcode oder die Pointe eines Witzes, die sie nicht begreift. Doch Dancy nickt lediglich, mit derselben stillen Eleganz, die auch in ihrer Stimme liegt. Der ernste unverwandte Blick aus den roten Augen macht es Chance schwer, sie lange anzusehen.
«Deacon», sagt Chance, spricht den Namen aus wie eine Warnung, aber seine Hand bedeckt noch immer die Augen.
«Schon okay», sagt Dancy. «Ich weiß, dass du sie nicht sehen kannst und auch nicht an Monster glaubst.»
«Es tut mir leid, Dancy, aber ich verstehe nicht einmal, was du eigentlich meinst oder weshalb du mir das erzählst.» Sadie schaut Chance von der Seite an, ein schneller, finsterer Blick aus Sadie Jaspers eisblauen Augen, die fast so merkwürdig sind wie Dancys. Vielleicht ist es das ja, denkt Chance, sie sieht auch Monster, und da muss sie sich heftig auf die Unterlippe beißen, um ein nervöses Lachen zu unterdrücken; das alles ist einfach zu bizarr und wird mit jeder Sekunde bizarrer. Trotzdem ist sie noch immer nicht sicher, ob es nur ein Scherz sein soll, aber offenes Gelächter wäre vermutlich unhöflich.
«Die Kinder Kains», sagt Dancy ernst, und Chance schmeckt Blut, nicht viel, aber salzig und warm, echt genug, damit sie die Kontrolle behält. Sie versucht, sich an den Tag ihres Bibliotheksbesuchs zu erinnern, auch an Einzelheiten, aber nichts, was ihr einfällt, ließe sie am Verstand des Mädchens zweifeln. Deke ist zwar ein Idiot, aber so etwas ist nicht sein Stil, zu abgefahren und viel zu verdammt anstrengend für Deacon Silvey, so ein verdrehtes Schauspiel zu arrangieren.
«Etwas langsamer», sagt Sadie zu dem Albinomädchen. «Du bist zu schnell, so macht es einen falschen Eindruck.»
«Tut mir leid.» Dancy lächelt sanft, wirkt fast verlegen und rutscht mit dem Hocker etwas näher zu Chance. «Ich bin müde, ich habe nicht sehr viel geschlafen letzte Nacht.»
«Herrgott», zischt Deacon vom Sessel. «Spuck es verdammt nochmal einfach aus, damit wir’s hinter uns haben. Ich bitte dich.» Chance erkennt an seinem gereizten Ton, dass es sich hier nicht um einen Witz handelt, ist jetzt sicher, dass dies wirklich keine dumme Posse ist, in der sie zum Esel gemacht werden soll, worum es sonst auch immer gehen mag.
«Dancy kann Monster sehen», sagt Sadie. Die Art, wie sie das sagt, als würde sie es wirklich glauben, verursacht Chance eine Gänsehaut, und es läuft ihr kalt über den Rücken. «Ein Engel hat sie hergeschickt, um die Monster zu töten. Zeig ihr, was du uns gezeigt hast, Dancy.»
«Aber sie glaubt mir nicht», flüstert Dancy, wobei sie Chance weiter beobachtet, ihr Lächeln allerdings ist verschwunden, stattdessen wirkt ihr Gesichtsausdruck jetzt traurig und wachsam, auch die Ruhe ist fort aus ihrer Stimme. «Sie wird mir niemals glauben.»
«Doch, das wird sie», sagt Sadie, lockend, geduldig, wie ein Lehrer mit einem schwierigen Schüler spricht, eine Mutter mit einem Kind, das sich fürchtet. «Du bist nur etwas
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