Fossil
auf dem sich das schwache Sternenlicht spiegelt, das durch die dichtstehenden aschgrauen Bäume fällt.
«… Wolfsschluchten…»
Und jetzt verliert Deacon seinen Halt am Baum, der Boden unter seinen Händen und Knien wird so durchlässig wie der Himmel hoch droben, ein eifersüchtiger Himmel voller Engelsfleisch und Verrat. Deacon krallt sich in die Erde, versucht alles, damit er nicht noch näher an das weit offen stehende, eisengezahnte Maul im Berg heranrutscht.
«… die Pfade, wo der Bergbach in der Dunkelheit unter dem Hügel verschwindet, eine unterirdische Flut.»
Er versteht, dass sie sie ruft, provoziert, will ihr sagen, dass sie doch bitte die Klappe halten soll, zum Teufel, doch da kann er schon das Kratz, Kratz, Kratz von Klauen und gestohlenen Zähnen hören.
«Dancy…» Es wird nur ein heiseres lächerliches Flüstern, aber sie hört ihn und blickt auf, als ob er wichtiger wäre als die Schatten, die auf sie zukriechen, ja als ob die nichts bedeuteten, und Dancys Haut leuchtet leicht in der Dunkelheit. Ein stumpfes brandblasenhelles Schimmern statt des pudrigen Glanzes ihres alabasternen Teints. Sie hat einen Sonnenbrand, denkt er. Ihre Augen kann er nicht sehen, aber fühlen, alles liegt verborgen in ihren Augen. Noch einen Moment, und die Schatten haben sie erreicht. «Dieser Kampf ist schon vorüber, Deacon, das weißt du», sagt sie und klingt im selben Atemzug traurig und tapfer und dankbar, ihre Worte sind Vorwurf und Anerkennung zugleich.
«Versuch zu ändern, was noch nicht passiert ist.» Und jetzt erkennt Deacon das Messer in ihrer Hand, Chance’ Schweizer Taschenmesser, dann kann er sie nicht mehr sehen, weil zwei dürre Vogelscheuchen aus einem schlimmen Albtraum ihm die Sicht verdecken.
Und dann hebt und senkt die Erde sich wie eine kaputte Karussellgondel, ein seekranker Taumel wie im Breakdancer auf dem Jahrmarkt, auf und ab, und der Himmel bricht auseinander, seine pechschwarzen Splitter stürzen zu Boden, und Deacon öffnet die Augen. Öffnet seine tränenden leiblichen Augen und schließt das andere, verborgene Paar, die inneren Augen, die ihn eines Tages zerstören werden, und die Welt setzt sich wieder zusammen, die Welt und die Nacht, und es riecht wieder nur nach Gras und Erde. Unmöglich zu sagen, wie viel Zeit vergangen sein mag, seitdem er den weißen Faden am Hornstrauch berührt hat.
Deacon dreht sich auf den Rücken, außer Atem, sein ganzer Kopf fühlt sich an wie eine pochende offene Wunde. Er blinzelt hinauf in die tief hängenden Zweige, ein Baldachin aus Gliedmaßen und Blättern zwischen ihm und der Unendlichkeit, aber nicht stark genug, um seinen letzten Fall abzufangen, falls er endgültig loslassen würde.
«Deacon? Fuck…» Die Sterne verschwinden hinter Sadies Kopf, ihrem schmalen, verschwitzten Gesicht, das irgendwo über seinem hängt, ihre Wangen sind gerötet und nass von Schweiß. Sie muss wohl gerannt sein. «Ich habe dich gehört», sagt sie. «Ich habe gehört, wie du geschrien hast.»
Obwohl er sich daran nicht mehr erinnern kann, weiß er doch noch, wie Dancy Flammarion den aus der parkstillen Nacht gekrochenen Kreaturen mit dem Taschenmesser drohte, Dancy, die mit dem Rücken gegen das verschlossene und verrostete Tor des Wasserwerkstunnels gelehnt dasaß, und dass ihre Haut schimmerte wie eine brandblasige Perle.
Und er erinnert sich auch an alles, was sie gesagt hat.
«Dancy», flüstert er. Sadie schüttelt langsam den Kopf und beugt sich dichter zu ihm. Sie wirkt verängstigt und besorgt.
«Sie ist nicht hier, Deke.»
«Nein», sagt er. «Aber sie war hier.» Er versucht sich aufzusetzen und fühlt sich, als müsste er sich gleich übergeben, der Schraubstock um seine Schläfen wird immer enger, und bestimmt springen in ein paar Minuten, ein paar Sekunden die Augen aus seinem Schädel. «Sie war hier», wiederholt er, legt sich hin und schließt die Augen.
«Jetzt ist sie es jedenfalls nicht mehr», sagt Sadie. «Hier ist niemand außer uns beiden.» Darüber hätte er am liebsten gelacht. Hört er vielleicht die Bäume lachen, gackert der Tunnel durch seine schmiedeeisernen Zähne, weil sie Bescheid wissen? Deacon öffnet die Augen wieder, Augen voller Tränen, und jetzt merkt er, dass er sich nur wenige Meter vom Blockhaus entfernt befindet.
«Wie bin ich hierhergekommen, Sadie?» Doch sie schüttelt nur den Kopf und scheint sich noch mehr Sorgen zu machen.
«Kannst du dich nicht erinnern?»
«Nein, kann ich nicht.» Dann
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