Foundation 08: Foundation
Passagiermeilen nahm in plötzlichen ›Exponentialepochen‹ rapide zu oder ab. Welche Ursachen liegen solchen plötzlichen Veränderungen zugrunde?
Gewöhnlich geben wir exogenen Faktoren die Schuld für plötzliche Veränderungen: Barbareneinfällen, kommunistischen Unterwanderungen, Agitatoren von außerhalb, der CIA und dergleichen. Die Veränderung wird der Gesellschaft durch extreme Kräfte ›aufgezwungen‹. Die von René Thom entwickelte topologische Katastrophen-Theorie hat gezeigt, daß plötzliche Veränderungen aus endogenen Faktoren resultieren können, also solchen, die der Gesellschaft selbst innewohnen (vgl. Ian Stewart, What Shape is a Catastrophe?, in ›Analog‹, Juni 1978).
Die Wurzeln plötzlicher Veränderung liegen, wie in Rashevskys Modell des sozialen Verhaltens, in der Tatsache begründet, daß es manchmal für dieselben Parameter zwei (oder mehr) Gleichgewichtsniveaus gibt. Wir können uns dieses Situation vermittels einer ›Katastrophen-Oberfläche‹ visualisieren.
Stellen Sie sich der Einfachheit halber vor, daß es zwei Parameter gibt (die ›Kontroll-Variablen‹). Diese definieren eine Ebene, die wir den Parameter-Raum nennen wollen. (Selbst in sehr komplexen Situationen bestimmen relativ wenige Kontroll-Variablen im wesentlichen das tatsächliche Verhalten.) Nehmen Sie ferner an, daß es eine Zustands-Variable gibt, die durch eine Potenzfunktion dargestellt ist und drücken Sie diese als vertikalen Abstand über der Parameterebene aus. Für jeden Punkt im Parameterraum gibt es einen (oder mehrere) Gleichgewichtszustand(-zustände). Die Anordnung aller Gleichgewichtspunkte bildet eine Mannigfaltigkeit, die über dem Parameterraum liegt. Dies ist die ›Katastrophenoberfläche‹. Nach Thoms Theorie gibt es nur sieben ›elementare‹ Oberflächen. Für zwei Kontroll-Variablen und eine Zustands-Variable bezeichnet man diese Fläche als ›Cusp‹ (ein Blatt mit einer Falte). Betrachten wir zwei einfache Beispiele:
1. Zusammenbruch von Gesellschaften auf Staats-Niveau: Der Archäologe Colin Renfrew hat eine Cusp-Oberfläche entwickelt, die den plötzlichen Zusammenbruch der frühen Ackerbaugesellschaften beschreibt. Die beiden Kontrollvariablen waren E, die Energie, die jenen kulturellen Mitteln zugeteilt war, die das Beharren bei der zentralen Macht fördern sollte, und M, die Differenz zwischen Produktivität und Steuern. Die Zustandsvariable ist C, das ›Maß der Zentralität‹, ein Maß für die Fähigkeit der Gesellschaft, Informationen zu übermitteln. Archäologisch wird C durch ein Christaller-Gitter zentraler Orte, der Bewahrung bürokratischer Aufzeichnungen, Fahnen und Insignien und dergleichen angezeigt. Folgen wir in Abbildung 12 der Bahn einer typischen Gesellschaft.
Eine egalitäre Stammesgesellschaft (1) intensiviert die Produktion auf Drängen sogenannter ›großer Männer‹ und investiert den Überschuß in Ausprägungen zentraler Macht. ›Große Männer‹ werden ›Häuptlinge‹, später ›Könige‹. Die Komplexität nimmt zu, bis es zur Bildung eines Staatswesens kommt (3). Schließlich beeinträchtigt aber das Bevölkerungswachstum die Produktion. Es wird immer schwieriger, die Pro-Kopf-Leistung ausreichend zu steigern, um die Zentralbehörde zu versorgen. Die Gesellschaft gerät unter Druck (4). Mit einer leichten Zunahme der in Zentralinstitutionen investierten Energie (E) tritt die Gesellschaft in eine Region des Parameterraumes ein, der als ›Gabelungs-Set‹ bezeichnet wird. In dieser Region gibt es zwei Gleichgewichtsniveaus, für die die soziale Effizienz maximiert wird. Freilich sorgt die (durch Zeitverzögerung oder ›Viskosität‹ des Systems verursachte) Massenträgheit dafür, daß die Gesellschaft auf der oberen Falte bleibt (6a). Wenn dann die Gesellschaft den Gabelungs-Set verläßt, verschwindet das lokale Maximum, und sie wird jetzt nur noch vom unteren Blatt angezogen. Die Gesellschaft ›fällt‹ über den Rand der Falte. Natürlich ist das kein plötzlicher Sturz, aber er ist exponentiell.
Abbildung 12: Das Leben einer frühen Gesellschaft auf Staatsniveau. Der Zusammenbruch (von einem hohen Komplexitätsniveau auf ein niedrigeres) tritt auf, wenn die Parameter eine Region durchlaufen, die als Gabelungs-Set bezeichnet wird. Gleichmäßige glatte Veränderungen in den Parametern führen zu plötzlichen ›unstetigen‹ Veränderungen im Zustand der Gesellschaft (bei Punkt 6).
Renfrew fügte anschließend noch zwei weitere
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