Foundation 08: Foundation
Ursachen
für Zustände wie Krieg und Armut gibt, dann kann man diese
Ursachen nur dadurch beseitigen, indem man sie in Angriff nimmt,
nicht aber indem man sie mit guten Gedanken
›wegwünscht‹. Jedenfalls leidet das Studium der Kultur
im Augenblick, wie der Anthropologe Marvin Harris bemerkt, nicht
gerade an einer Überdosis wissenschaftlicher Methodik.
Was den freien Willen angeht: Freiheit ist das Gegenteil von
Zwang, nicht etwa von Kausalität. Eine freie Wahl ist keine
unvernünftige Wahl. Das heißt, sie hat Gründe –
oder Ursachen –, die man in Form eines Gesetzes zusammenfassen
könnte. Ein wissenschaftliches Gesetz ist eine Beschreibung,
nicht etwa eine Ursache von Phänomenen. Ein historisches Gesetz
kann einen ebensowenig dazu zwingen, sich in bestimmter Weise zu
verhalten, wie einen eine versicherungsmathematische Tabelle zum
Sterben zwingt.
Die Komplexität der menschlichen Gesellschaft bedeutet
lediglich, daß es schwierig sein könnte, die Gesetze der
Geschichte zu entdecken, nicht etwa, daß sie nicht existieren.
Sicherlich sind viele der in diesem Artikel zitierten Beispiele grob
vereinfachend; aber ›vereinfachend‹ braucht nicht
gleichbedeutend mit ›falsch‹ zu sein. Selbst eine grob
vereinfachende Analyse kann durchaus zum Verständnis beitragen.
Im gegenwärtigen Stadium rechnet niemand damit, ein einziges,
allumfassendes System von Differentialgleichungen aufstellen zu
können, das jede Spielart der Gesellschaft beschreiben
könnte. Schließlich haben die Physiker auch bis jetzt das
allgemeine Drei-Körper-Problem noch nicht gelöst. Wir
stehen auch erst am Anfang einer mathematisch-wissenschaftlichen
Betrachtungsweise der Zivilisation.
Die Psychohistorik ist ein umfangreiches Thema, das wir hier nicht
in aller Breite abhandeln können. Wohl aber können wir uns
einige Höhepunkte dieser am Anfang stehenden Wissenschaft
herausgreifen.
Wissenschaftliche Gesetze sind statistische Gesetze. Sie befassen
sich mit allgemeinen Tendenzen großer Mengen. Die Kernphysik
sagt ja nicht etwa das Schicksal eines einzelnen Neutrons voraus oder
die Chemie das eines einzelnen Moleküls. In gleicher Weise ist
es praktisch unmöglich, das Verhalten eines Individuums
vorherzusagen, das heißt, es ist praktisch unmöglich, alle Faktoren zu identifizieren und zu messen,
die es beeinflussen. In großen Gruppen freilich können
sich individuelle Variationen gegenseitig aufheben und damit
Regelmäßigkeiten oder Muster erzeugen. Auf diese Weise
kann es sein, daß das durchschnittliche Verhalten einer
Gruppe vorhersehbar sein kann, selbst wenn das nicht für das
Verhalten der einzelnen Individuen der Gruppe gilt. Spielcasinos und
Lebensversicherungen leben von der Richtigkeit dieser Erkenntnis.
Lassen Sie uns einige Beispiele von solchen Mustern und
Regelmäßigkeiten näher betrachten:
1. Sklavenaufstände/Rassenunruhen in den
USA wurden in Fünfjahres-Abständen auf einer
Shewhart-Graphik, wie sie für Zwecke der Qualitätskontrolle
benutzt wird, aufgetragen (Abb. 1). Eine Shewhart-Graphik ist ein
statistisches Hilfsmittel, das zwischen zufälligen Schwankungen,
die systemimmanent sind und nicht-zufälligen Schwankungen, die
durch Störungen des Systems verursacht werden, unterscheidet.
Die punktierte Linie stellt die obere Grenze des Vertrauensbereichs
für einen stabilen Poisson-Prozeß dar. Dabei handelt es
sich um denselben Prozeß, der als Modell für die Emission
radioaktiver Partikel benutzt wird. Wie zu erkennen ist, haben die
USA in den letzten 170 Jahren Unruhen/Sklavenaufstände mit einer
Rate von delta = 0,29 Aufstände/Jahr ›emittiert‹.
Dieser Durchschnittswert ist in das zivilisatorische System der USA
›eingebaut‹. In jeder zweiten Generation kommt es zu
Spitzenausschlägen. Die Regelmäßigkeit dieser Spitzen
deutet auf eine zweite strukturelle Ursache hin. * Die Hartnäckigkeit des Musters zeigt, daß die
Sklavenbefreiung die Stellung der Schwarzen in der amerikanischen
Gesellschaft nicht fundamental verändert hat, und (es sei denn
die Bürgerrechtsbewegung hätte das System tatsächlich
verändert) daß wir mit der nächsten Spitze um das
Jahr 2010 zu rechnen haben.
Abbildung 1: Die Zahl der Sklavenaufstände (oder
Rassenkrawalle) ist im allgemeinen mit einem konstanten
Poisson-Prozeß kompatibel. Die obere Grenze des
Vertrauensbereichs für die Häufigkeit von 1,45
Aufstände/pro 5 Jahre wird mit +Wurzel aus 3delta festgesetzt.
Man beachte, daß die Befreiung der
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