Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
(Halten)
Das Gebiet wird gehalten; nach und nach soll den einheimischen Sicherheitskräften die Kontrolle übergeben werden, bis sie die volle Verantwortung tragen und die Sicherheit garantieren können.
Build (Aufbauen)
In der letzten Phase wird in die langfristige Entwicklung des Gebiets investiert. Nach dem Plan soll die Situation stabil bleiben, und größere Projekte sollen angegangen werden können.
Für mich war das »Counterinsurgency Field Manual« zunächst Pflichtlektüre und die darin enthaltenen Strategien graue Theorie. In Gesprächen mit Offizieren der Bundeswehr und insbesondere mit Hauptmann Schellenberger habe ich gelernt, dass die Kräfte in Kunduz sich zwischen der Phase »Hold« und »Build« befinden. Auf mehrfache Nachfrage hört man heraus, dass sich einige Gebiete im Bereich auch noch in der »Clear«-Phase befinden. Die Übergänge sind fließend, Begrifflichkeiten unsauber, Bewertungsgrundlagen unklar, und natürlich werden Berichte mit Blick auf das politische Berlin positiv gestrickt. Diese Bewertungen kann man in der Presse lesen, und man hört sie auch raus, wenn man sich mit Offizieren der Bundeswehr unterhält. Etwas völlig anderes ist es, dort zu sein, wo diese Strategien umgesetzt werden. Die Soldaten vor Ort sollen Kampftruppe, Diplomat und Aufbauhelfer in einem sein. Die Überforderung scheint mir schon in der Auftragsbeschreibung angelegt zu sein. Anders gesagt: der Soldat als eierlegende Wollmilchsau.
»Partnering« heißt also das Konzept der Zusammenarbeit, das offiziell schon länger praktiziert wird. Die fließende »Übergabe in Verantwortung« afghanischer Sicherheitskräfte wurde im Januar 2010 auf der Londoner Afghanistan-Konferenz beschlossen. Tatsächlich lief »Partnering« in Kunduz aber eher stockend an. Das Problem: Es gab zu wenige afghanische Sicherheitskräfte, um in der »Hold«-Phase zuvor geräumte Geländeabschnitte an diese übergeben zu können. Zudem waren die afghanischen Soldaten für größere Operationen noch nicht ausreichend ausgebildet. Zwischenfälle wie der vom 18. Februar 2011 – ein afghanischer Soldat feuerte innerhalb des Stützpunktes OP North auf Bundeswehrsoldaten, drei von ihnen starben: Hauptfeldwebel Georg Missulia (30), Stabsgefreiter Konstantin Alexander Menz (22) und der Hauptgefreite Georg Kurat (21) – führen außerdem dazu, dass nicht alle deutschen Soldaten begeistert gemeinsam mit afghanischen Einheiten ihren Dienst tun.
Die Task Force hat, wie gesagt, zum einen den Auftrag, bereits frei geräumte Gebiete durch Präsenz zu sichern sowie, zum anderen, darüber hinaus in Gebiete vorzudringen, in denen die Bundeswehr seit Jahren nicht mehr präsent war. 2010 ist es zum Beispiel gelungen, die Aufständischen aus dem Süden der Unruhe-Region Chahar Darreh zu verdrängen. Der Norden Chahar Darrehs könnte in den nächsten Monaten ein mögliches Einsatzgebiet für die Task Force Kunduz sein.
»Trockenübung« vor dem Einsatz
Bevor ich als »tief integrierter« Journalist diesen Einsatz in Afghanistan begleiten darf, soll ich – wie die Soldaten auch – erst einmal für ihn »üben«. Würde ich, als Teil der Einheit, dabei schlappmachen, könnte ich die anderen und ihre ganze Mission gefährden.
Dafür stehe ich in Kontakt mit dem Kompaniechef meiner Einheit, Hauptmann Schellenberger. Er ist »Chef« der 3. Kompanie. Sie besteht aus circa 180 Mann auf gepanzerten Fahrzeugen. Schellenberger ist 31 Jahre alt, verheiratet und hat eine Tochter. Er hat bei der Bundeswehr Pädagogik studiert und während seines Studiums Zeit an einer Militär-Universität in den USA verbracht. Er spricht eine klare Sprache, auffällig militärisch geprägt. Er ist nicht groß, wirkt aber körperlich zäh und trainiert. Die Farbe seiner Augen ist geradezu irritierend grün.
Schellenbergers erste – amtliche – Email an mich:
»Ferner freue ich mich, dass meine Kompanie, die 3. Kompanie des Panzergrenadierlehrbataillons 92, Sie für das bevorstehende Projekt aufnehmen und in eine Gruppe eines unserer Infanteriezüge integrieren wird. Wir stellen uns darauf ein, Sie zuerst im Übungszentrum Altmark in der Letzlinger Heide begrüßen zu dürfen. Unsere Planungen für die Übung befinden sich bereits in der heißen Phase und enden mit dem Verladen unserer Panzer bei uns in der Kaserne.«
Dominic Schellenberger – Interview
31 Jahre
Hauptmann
verheiratet, eine Tochter
◆ Als ich Sie das erste Mal traf, standen Sie vor Ihren Männern,
Weitere Kostenlose Bücher