Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Gesichter. Kleine Kinder rennen aus einer Lehmhütte an den Straßenrand. Sie hüpfen herum, lachen und winken den gepanzerten Wagen zu. Wild und Schröder winken zurück.
Nach zwölf Kilometern haben wir das Polizeihauptquartier von Chahar Darreh ( PHQ: Police Head Quarter ) erreicht. Zwei afghanische Polizisten stehen vor dem blau lackierten Tor, wir fahren an einem Schild mit der Aufschrift »Hier gilt die StVO« vorbei. Ich frage mich, ob es sich dabei nun um Bundeswehr-Humor oder tiefernste deutsche Ordnungsliebe handelt. Im Hof parken zahlreiche Dingos, Eagles und Transportpanzer. Das Polizeihauptquartier dient der Bundeswehr als Basis in Chahar Darreh. Von hier aus besetzen die Deutschen die Vorposten, mit denen wichtige Straßen und andere strategische Punkte gesichert werden. Von hier rücken sie auch gemeinsam mit ihren Verbündeten aus, um Taliban zu bekämpfen.
Polizeihauptquartier Chahar Darreh (PHQ)
Hier im PHQ Chahar Darreh ist dauerhaft eine Infanteriekompanie eingesetzt. Eine Kompanie bleibt durchschnittlich zehn bis vierzehn Tage hier stationiert. Dann wird sie durch eine andere Kompanie abgelöst. Die Sicherung des Außenpostens übernimmt die Einheit selbst. Die Soldaten sind also abwechselnd in der Raumverantwortung in Patrouillen draußen, überwachen die Umgebung vom Wachturm aus oder nehmen an Operationen in der Region teil.
Im PHQ gibt es einen Fernseher, ein paar Gewichte, drei Duschcontainer, jede Menge Feldbetten und, klar, noch mehr durchgeschwitzte T-Shirts und Socken, die an selbstgebastelten Wäscheleinen und jedem verfügbaren Haken hängen. Zwanzig bis dreißig Männer teilen sich hier eine Stube. Daniel Wild schaut sich um und sinniert. »Also wirklich, der perfekteste Tag für mich wäre: nach Hause kommen und gar nichts machen. Ich würde die Wohnung sehen, würde mein Zuhause sehen, meine Mutter sehen, erst mal Käffchen machen, ein bisschen quatschen, einfach nur in Sicherheit sein.«
Dabei baut er mit Körner sein Feldbett auf, Schlafplatz für die nächsten vierzehn Tage. Wild murmelt immer noch, »… wo man weiß, man ist zu Hause und da gehörst du hin«.
In diesem Moment erinnere ich mich an die Frage von Oberstleutnant Houben. »Ich nehme an, Sie haben in Hamburg eine gemütliche, saubere und warme Wohnung …?«
Dies war es, worauf er mich damals vorbereiten wollte. Warm ist es hier allerdings auch, könnte nicht wärmer sein. Aber gemütlich und sauber? Die Wände unverputzter Beton. Die Privatsphäre so groß wie das Feldbett, auf dem man liegt. Die Küche ein kleiner Verschlag – in keinster Weise dafür ausgelegt, dass hier eine ganze Kompanie ihr Essen brutzelt. Für die Notdurft ein paar Dixi-Toiletten im Hof. Schnell begreife ich den Ratschlag der Soldaten, die Dixis nur morgens und abends zu besuchen. Wie alles andere heizen sich auch die Plastik-Häuschen und ihr Inhalt in der Mittagssonne unappetitlich auf. Wer die Regel vergisst, kommt schweißgebadet, mit hochrotem Kopf und panisch nach Luft schnappend von seinem Geschäft zurück.
Aber ich wollte es ja nicht anders.
Während Wild und Körner in der Mittagshitze mit der Konstruktion der Feldbetten kämpfen, sagt Körner mit breitem Grinsen zu Wild: »Du hast dich eingemacht.« Wild: »Jaja, ich weiß. Der ganze Oberkörper ist voll Schweiß.« Chill kommt ins Zimmer, setzt sich hin, trinkt Cola, schwitzt.
Coca-Cola, Marlboro und Heckler & Koch
Ein paar Stunden später auf dem Weg zum Wachturm des Bundeswehr-Außenpostens im Polizeihauptquartier. Mit schweren Schritten stampfen Schröder und Körner die Treppe zum Wachturm hoch. Die beiden tragen ihre Schutzwesten, jede um die 15 Kilo schwer.
»Wachschicht übernommen, neuer Führer: Foxtrott 4«, meldet Schröder dem Gefechtsstand. Der Gruppenführer und seine Soldaten nehmen ihre Stellungen hinter Sandsäcken und den »Hesco-Barriers« ein. Vor ihnen liegen die G36-Sturmgewehre von Heckler & Koch, Zigaretten von Marlboro und kalorienarme Brause von Coca-Cola.
Das Polizeihauptquartier liegt in einer Ebene, inmitten von Feldern. Etwa 250 Meter entfernt steht eine Ruine. Die Lehmmauern sind mit Einschusslöchern übersät und zeugen davon, dass der Außenposten noch vor ein paar Monaten immer wieder von dort beschossen – und wehrhaft verteidigt – wurde. In der Region ist es ruhiger geworden, dennoch überwachen Schröder und seine Soldaten in einem 360-Grad-Radius die Umgebung. Eine Gruppe Frauen in traditionell blauen Burkas trägt Kinder und
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