Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
(Abkürzung COPs), also den Außenposten, heraus in den strategisch wichtigen Gebieten Präsenz zu zeigen und dadurch Gebiete zu sichern. Die COPs dienen außerdem als Basis für Operationen. Auftrag für den Foxtrott-Zug ist es zunächst, den Außenposten der Bundeswehr im Polizeihauptquartier von Chahar Darreh zu besetzen. Doch erst mal geht es um die Fahrt dorthin.
»Derzeit ist die Lage so, dass es eine ›Suicider‹-Warnung gibt. Für den gesamten Bereich der LOC (LOC: Line of Communication – oder auch eine wichtige Verbindungsstraße) ›Pluto‹ und die gesamte ›Kamins‹ entlang«, sagt Isensee. Dann erklärt er den Informationsstand zum Selbstmordattentäter: »Der sollte sich heute umsetzen nach Erkenntnissen von J2 (Abteilung für Nachrichtenwesen). Bisher habe ich es noch nicht knallen hören. Also schauen wir mal.« Die Bundeswehr treibt manchmal merkwürdige Sprachblüten. »Umsetzen« wird die Explosion genannt. In diesem Fall ist also mit »umsetzen« der Moment gemeint, in dem der Selbstmordattentäter sich in die Luft sprengt.
Die Soldaten blicken ungerührt auf das Bild, das der Beamer an die Wand wirft. Einige prüfen den Weg auf einer Karte auf dem Tisch.
»Solltet ihr irgendwo länger stehen, schaut mal nach, ob euch nicht jemand etwas unten ran geklebt hat. Ich will nirgendwo länger als eine Minute stehen.«
Kurz darauf sitzen wir im Dingo auf dem Ehrenhain. Wir tragen Schutzwesten, in den Ohren einen Gehörschutz, der das Trommelfell bei Explosionen vor der Druckwelle schützen soll, vor den Augen splitterfeste Sonnenbrillen. Alle Waffen sind geladen. »Habt ihr an die Minenverriegelung gedacht?«, fragt Schröder. Zweifaches Klicken: Der Innenraum ist nun sicher.
Schröder: »Wir sollen keine Fahrzeuge in die Kolonne lassen. Abstände relativ gering halten in Kunduz-Stadt. Darum geht es hauptsächlich. Vermutet wird jetzt ein grüner Toyota.«
Und da ist sie, die abstrakte und eben doch konkrete Gefahr. Jedes Mal, wenn wir aus dem Feldlager fahren. Abstrakt, weil nicht immer etwas passiert. Konkret, weil jedes Mal etwas passieren könnte. Wenn ich die Soldaten nach der Gefahr frage, antworten sie, nein, rasseln immer wieder runter, dass sie stumpf genug seien, um sich über die Möglichkeit eines IED-Anschlages keine Gedanken zu machen. Wiederholen, dass man dagegen eh nichts machen könne, und deshalb bringe es auch nichts, Angst zu haben.
Nüchtern betrachtet haben sie natürlich Recht. Auch ich denke nicht, dass mir Sorge und Angst gegen eine versteckte Sprengfalle helfen. Wenn ich in Hamburg in meinen Smart steige, fürchte ich ja auch nicht, dass ich einen Unfall haben könnte. Und trotzdem kommt mir der Gedanke immer, wenn unser Dingo das Lager verlässt. Mach es wie die Jungs, sage ich mir dann, denk nicht drüber nach. Kopf-Kino ausschalten. Die Jungs sind Soldaten, die kennen sich da aus. Aber ich kann mir nicht helfen, die Bilder von IED-Anschlägen, die ich mir vor meinem Einsatz auf Youtube angesehen habe, kommen immer mal wieder bei mir hoch.
Der Motor des Dingos brüllt auf. Dreizehn Tonnen Stahl setzen sich mit einem Knirschen in Bewegung. Die Wagen verlassen das Feldlager im Schritttempo, vorbei an Schranken und afghanischen Wachmännern, über Bodenhindernisse kriechend und hüpfend geht es nach draußen. Die Jungs zurren ihre Helme fest. Schröder klopft mit der Handfläche auf seine Waffe, Wild späht aus dem Fenster, die Landschaft zieht an uns vorbei. Körner hat seine Augen an der Optik der Waffenanlage. »Geschütz schwenkt links.« Körner an der FLW (Fernbedienbare Leichte Waffenstation) kurbelt an zwei Griffen, der 40-mm-Granatwerfer auf dem Dach bewegt sich.
Die Bundeswehr-Kolonne fährt durch Kunduz-Stadt. Chill versucht, möglichst mittig zu fahren, damit entgegenkommende Fahrzeuge anhalten müssen. Durch Panzerglasscheiben blicke ich nach draußen. Die Menschen am Straßenrand schauen der Kolonne hinterher. Nicht unfreundlich, nicht freundlich. Ich kann in ihren Gesichtern nichts lesen. Wahrscheinlich gehören Soldaten nach dreißig Jahren Bürgerkrieg zu ihrem Alltag. Schließlich verlassen wir die geteerten Straßen von Kunduz-Stadt, folgen einer holprigen Sandpiste. Es staubt. Die Fahrzeuge vor uns sind fast nicht mehr zu erkennen. Neben der Fahrbahn erstrecken sich Felder. Immer wieder sehe ich Bauern mit Eseln, Kühen und Ziegen. Die Menschen in der Region Kunduz leben von der Landwirtschaft. Dann auf einmal – doch noch ein paar freundliche
Weitere Kostenlose Bücher