Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Nacht,
rette mich durch den Sturm,
fass mich ganz fest an,
dass ich mich halten kann . Herbert Grönemeyer »Land unter«.
Ich denke über die Jungs nach und über die Art und Weise, wie sie sich als Gruppe in diesen Monaten entwickelt haben. Über das, was Wild gesagt hat.
Was die Soldaten hier in Afghanistan erleben, ist auch ein Zusammenhalt unter Jungs, jungen Männern, unter Männern. Eine Bedrohung von außen und eine Gemeinschaft im Inneren. Auch das ist Teil der Erfahrung Afghanistan. Ein Soziologe hätte seine helle Freude, könnte er die Bundeswehrsoldaten im Einsatz begleiten. Ich bin kein Soziologe. Aber die Bedeutung des Wortes Kameradschaft geht auch an mir nicht so einfach vorbei. Die Jungs von Foxtrott 4 sind eine eingeschworene Gruppe. Natürlich kracht es mal, es wird gepöbelt und geschimpft. Aber letztlich wissen alle, dass sie die sechs Monate nur gemeinsam überstehen. Klar, auch Notwendigkeit und Zwang hält die Gruppe zusammen. Sie müssen eine Menge aushalten: scheiß Aufträge, scheiß Wetter, scheiß Witterung, scheiß Essen – und auf vieles verzichten: Alkohol, Sex, Zärtlichkeit, Fernsehen, ein gemütliches Bett, saubere Kleidung, Privatsphäre, Sicherheit. Und einiges mehr. Kameradschaft?
Jeder der Soldaten, die ich begleite, versteht Kameradschaft auf seine eigene, persönliche Weise.
Schröder: »Kameradschaft ist immer das große Stichwort. Kameradschaft heißt in diesem Falle für mich, dass die alle gewaltig aufeinander Rücksicht nehmen müssen. Nicht mehr nur an sich denken, sondern an die Gruppe, an den Zug, an die Kompanie denken müssen. Und dass Egoisten hier überhaupt nicht gebraucht werden. Sondern jeder muss für den Anderen mitdenken.«
Chill: »Kameradschaft ist, dass man gegenseitig Rücksicht nimmt, aufeinander aufpasst, weil jeder mal einen schlechten Tag hat. Durch die Eindrücke, die da auf uns einprasseln, haben wir immer mal nen schlechten Tag und sind mal schlecht gelaunt. Dass man dann drüber wegschaut und sich nicht gleich an die Gurgel springt und sich vielleicht auch wieder aufbaut – das ist Kameradschaft für mich.«
Die offiziellere Definition ist wie folgt:
Kameradschaft in der soldatischen Gemeinschaft bedeutet die Pflicht jedes Soldaten, seinem Kameraden unter allen Umständen – auch unter Lebensgefahr – beizustehen. Das Besondere an der soldatischen Kameradschaft ist, dass sie nicht an persönliche Verbundenheit im Sinne von Freundschaft o. ä. gebunden ist, sondern von jedem Soldaten als Dienstpflicht gefordert wird. Dies ergibt sich aus § 12 Soldatengesetz (SG).
Abgesehen davon, dass Soldaten zu Kameradschaft »verpflichtet« sind, so ist sie ursprünglich eine soldatische Tugend. Und eine Tugend ist grundsätzlich die Fähigkeit, das Gute mit innerer Neigung zu tun. Kameradschaft kann also nicht erzeugt werden, sondern entsteht im gemeinsamen Einsatz für ein gemeinsames Ziel. Das vermutlich wichtigste gemeinsame Ziel der Kameradschaft lässt sich in Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen wie Loyalität, Solidarität, Freundschaft oder Kollegialität erkennen, denn im Gegensatz zu diesen ist der Kameradschaft die Lebensgefahr zugehörig. Das wichtigste gemeinsame Ziel dürfte also das pure Überleben sein. Neben dem Risiko, durch Waffengewalt zu sterben, sind es vor allem existenzbedrohende Entbehrungen und auch Angst, die Soldaten im Kriegsszenario zusammenschweißen. Die Theorie dahinter ist: Selbstlosigkeit und bedingungslose Hilfsbereitschaft innerhalb einer Gemeinschaft erhöhen die Überlebenswahrscheinlichkeit aller ihrer Angehörigen. Daraus leitet sich folgende Definition ab: »Kameradschaft ist die Tugend, aufgrund der seelischen Verbundenheit innerhalb einer zielgerichteten Schicksalsgemeinschaft auch unter Lebensgefahr unterschiedslos nächstenliebend zu wirken.« (Werner Sorg: Das Wesen der Kameradschaft, Wiener Neustadt, 2004, Quelle: Wikipedia)
Talib oder nicht Talib?
Wir sind wieder in Nawabad unterwegs. Sind wieder seit ein paar Tagen im Safe House, schlafen unter der Plane. Das Wetter ist garstig – windig und immer wieder auch Regen. Wir haben das Safe House gegen 8 Uhr verlassen. Der Auftrag des Foxtrott-Zuges ist es, eine Patrouille in der Umgebung durchzuführen. Dabei soll Hauptmann Paul – der Nachrichtenoffizier mit dem Goldring – Gesprächsaufklärung betreiben. In der Region sind wiederholt IEDs gefunden worden. Man weiß, in der Gegend muss es eine Werkstatt für die Sprengsätze geben.
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