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Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)

Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)

Titel: Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Schnitt
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Hauptmann Paul soll die Bevölkerung und mögliche Verdächtige befragen. Die Soldaten des Foxtrott-Zuges sollen Präsenz zeigen und den Nachrichten-Offizier bei seiner Arbeit sichern.
    Ich laufe, aufgereiht wie die Soldaten, in der Kolonne hinter Schröder. Wir laufen die Sandstraße in einem ärmlichen Dorf entlang. Rechts ein Bewässerungsgraben, links zwei Holzhütten. In der einen ist eine Garküche, in der anderen eine Art afghanischer Kiosk – Telefonkarten, Kekse, Schokolade, Spielzeug aus China oder Pakistan werden hier verkauft. An dem Bewässerungsgraben pickt eine Gruppe Truthähne im Boden nach Nahrung.
    Schröder ruft: »Totti, die Truthähne sind extra für dich auf der Balz.« Als Körner an den Vögeln vorbeimarschiert, fangen sie tatsächlich an, ihre Federn aufzustellen und zu gackern. Die Afghanen im Kiosk lachen. Über die vergangenen Wochen hat man sich hier an die deutschen Soldaten gewöhnt. Der afghanische Sprachmittler erzählt mir, dass die Bevölkerung in diesem Dorf – ganz langsam – Vertrauen fasst. Die Deutschen waren jetzt häufiger hier und haben sich korrekt verhalten. Wenn ein Haus durchsucht wurde, hat man den Afghanen die Zeit gegeben, die Frauen in einen anderen Bereich zu bringen. Die Soldaten waren höflich, haben die Sprachmittler vorgeschickt und Respekt gezeigt. Das ist wichtig in Afghanistan. Hier geht es, wenn man von »interkultureller Kompetenz« spricht, nicht um einen guten Geschäftsabschluss in China, sondern um Leben oder Tod. Und dies ist ein Dorf in der Nähe des Safe House. Es gibt davon viele. Aber nur in diesem hier stehen die Menschen draußen, wenn die Soldaten kommen, die Kinder wollen Kekse oder Stifte. Und die Bewohner lachen. Immerhin.
    Als wir die nächste Ansammlung von Häusern erreichen, wird die Stimmung angespannter. In dieser Siedlung sollen die IEDs gebaut werden. Auf der Straße ist niemand zu sehen, mal wieder sind die Tore der Compounds geschlossen. Sicheres Gebiet und Feindesland ist in dem Areal, in dem wir uns rund um Nawabad bewegen, eine Frage von wenigen hundert Metern. Und auch eine Frage der Ethnie der jeweiligen Bevölkerung. Im letzten Dorf leben mehrheitlich Tadschiken. Die Tadschiken in der Region unterstützten während der Herrschaft der Taliban in weiten Teilen die Nordallianz um Ahmad Shah Massoud, dessen Vater Tadschike war. In dem Dorf, das wir jetzt erreichen – und in dem die IED-Werkstatt vermutet wird –, sind die meisten Einwohner Paschtunen, und die Paschtunen stehen den Taliban näher. Die Ideologie der Talibs ist vom paschtunischen Rechts- und Ehrenkodex, dem Paschtunwali, geprägt. Man spricht eine Sprache, hat ähnliche Werte und sowieso die gleiche Religion – den sunnitischen Islam.
    Immer wieder kommt mir der Gedanke, wie zutiefst fremd den einfachen Dorfbewohnern diese deutschen Soldaten erscheinen müssen. Wie unfassbar ehrgeizig – um ein kleines Wort zu gebrauchen – das Ziel von Bundeswehr und ISAF gesteckt ist. Nämlich den Menschen in diesen ärmlichen, abgelegenen Dörfern begreiflich zu machen, dass es ihnen besser gehen wird, wenn sie fremde, christliche, aus aller Welt stammende Soldaten unterstützen.
    Das Gebiet, in dem die Bundeswehr dieses Ziel erreichen will, ist nicht unüberschaubar groß. Das Kunduz-Tal umfasst zirka 40 Kilometer von Nord nach Süd und mehr oder weniger 30 Kilometer von Ost nach West. Im Feldlager Kunduz sind um die 2 500 Soldaten stationiert. Das klingt zunächst nach einer Menge Soldaten für einen übersichtlichen Raum. Aber nur die Wenigsten davon sind für den Einsatz außerhalb des Lagers vorgesehen. Für die »Raumverantwortung«, also die Aufrechterhaltung der Sicherheit im Raum Kunduz, ist die Task Force Kunduz (Offizielle Bezeichnung/Politikersprech: Ausbildungs- und Schutzbataillon Kunduz) verantwortlich. Also die Einheit, die ich begleite. Oberstleutnant Lutz Kuhn, der Kommandeur der Task Force, hat in seinem Bataillon etwa 600 bis 700 Soldaten unter seinem Kommando. Davon ist immer eine Kompanie – also etwa 180 bis 200 Soldaten – im Feldlager, um Kräfte zu tanken. Macht etwa 400 Soldaten, die »draußen« sind. Der Feind tritt jedoch nicht offen auf. Er sucht Zuflucht in den Dörfern, er legt Sprengfallen, er geht den besser bewaffneten Bundeswehr-Einheiten aus dem Weg, er trägt keine Uniform, tritt nur dann als »Feind« in Erscheinung, wenn er sich dazu entscheidet. Die Bundeswehr kann nur einzelne Außenposten, auch einige Straßen und strategisch

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