Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Talib-Führer durch Spezialeinheiten, sichtbare Aufbauarbeit in den Dörfern, Aufbau von Vertrauen durch Gespräche mit den Dorfältesten – eine eher politische Aufgabe – und um die Zusammenarbeit mit ANP ( Afghan National Police), ANA (Afghan National Army) und LSF (Local Security Forces), die ein so elementarer Teil der Abzugsstrategie ist. All das wird von der Bundeswehr in Kunduz gefordert. Theoretisch klar, aber hier vor Ort scheint mir das von den Soldaten im Einsatz manchmal ein bisschen viel verlangt.
Zurück zu meiner Einheit, die ihren Hauptmann Paul sichert. Der macht Fotos von dem verdächtigen Afghanen: »Guck mal nach da.«
Schröder sitzt auf einem kleinen Lehmhügel und beobachtet die Umgebung. Sein G36-Sturmgewehr liegt in seinem Schoß. An der Sohle seiner Stiefel kleben mindestens drei Zentimeter Matsch.
Hauptmann Paul steht mit seinem Sprachmittler bei dem Afghanen. Der wirkt schwer nervös. Paul macht weiter Fotos: »So, jetzt machen wir von weitem noch eins.«
Zu seinem Sprachmittler sagt er: »Ich weiß, das ist ja auch ein Talib. Der ist sicherlich unser IED-Bauer, oder?«
Auch der Sprachmittler hat Verdacht geschöpft: »Der zittert so heftig, der ist durcheinander. Der hat was zu verbergen.«
Paul: »Ja, schade, dass wir die Polizei nicht dabeihaben.« Die Deutschen haben keine Polizeigewalt. Das heißt auch, sie können keine Festnahmen vornehmen. So sind die Regeln.
Paul fragt den Afghanen: »Bist du jetzt ein Talib oder nicht? Sag es!«
»Nein. Ich bin kein Talib! Ich hab sogar gegen sie gearbeitet! Früher war ich Fahrer für den LSF-Kommandeur«, übersetzt der Sprachmittler.
Paul grummelt: »Jaja, und der Kommandeur war früher ein Taliban.«
Hauptmann Paul holt Fotos von bekannten Verdächtigen aus einer Seitentasche seiner Feldjacke, prüft die Fotos, vergleicht sie mit dem Mann, den er vor sich hat.
Der deutsch-russische Hauptmann hat mir auch mal erläutert: »Afghanen kann man nicht kaufen, nur mieten.« Loyalitäten wechseln schnell, insbesondere gegenüber Fremden, immer abhängig von der Bezahlung und am meisten davon, wem die Afghanen es zutrauen, den Sieg zu erringen. Und das bedeutet für die Afghanen hier vor Ort auch den Sieg mit Blick auf die Zukunft. ISAF und die Deutschen wollen 2014 abziehen, die Taliban wollen bleiben. Sie sind schon hier. Und ihre Führer warten in Pakistan ab, bis die westlichen Truppen abgezogen sind. Für die Afghanen in den Dörfern sind die Patrouillen der Bundeswehr nur eine Momentaufnahme. Hauptmann Paul kennt seinen Auftrag, weiß um seine Beschränkungen. Mit Sicherheit ist die Situation für alle frustrierend.
Paul spricht zu dem Afghanen, schaut ihn direkt an, spricht nicht zu seinem Sprachmittler: »Wenn ich deine Fotos der Polizei gezeigt habe und die sagen, dass du das bist, dass du die Minen gebaut hast – und ich weiß, dass hier jemand Minen baut –, dann nehme ich dich fest. Dann komme ich nachts mit einem Hubschrauber, und dann bist du fällig.«
Der Afghane ist sichtlich eingeschüchtert. Wahrscheinlich weiß er nicht, dass die Deutschen erst mal gar nichts gegen ihn unternehmen können. Aber die Einsatzregeln der Bundeswehr sind den Afghanen fremd. Sie sind von den Talibs, ihrer Polizei und der afghanischen Armee anderes gewohnt.
Hauptmann Paul hat seine Fotos gemacht, seine Drohung ausgesprochen. Nun müssen wir weiter. Niemand in unserem Zug will zu lange an einem Ort bleiben. Wir sind in einer Gegend, in der die Bundeswehr wenige Freunde hat.
So nah und doch so fern
Ein paar Tage später sind wir vom Safe House für einen Auftrag nicht zu Fuß, sondern im Dingo unterwegs. Der Ort der Operation ist recht weit entfernt und das Gebiet unsicher, also will man die Feuerkraft der Fahrzeuge im Rücken haben.
Wir steigen aus und marschieren wieder aufgereiht. Ich laufe hinter Schröder, schließe kurz auf und frage ihn nach den Aufständischen.
»Im Moment ist die Bedrohungslage so, dass immer noch IEDs vergraben werden, dass sich auch immer noch Insurgents (Aufständische) im Bereich befinden.«
»Ich habe doch nie welche gesehen, und wir sind noch nie direkt angegriffen worden«, wende ich ein.
»Stimmt. Wir erfahren von ihnen durch das Abhören von Handys oder Telefongesprächen. Es gibt sie. Aber sie sind halt nicht stark genug, um eine Patrouille anzugreifen. Deshalb legen sie IEDs.«
Kurze Pause nach einer halben Stunde Marsch. Wild isst Schokolade, Körner raucht eine Zigarette. Vor uns hat sich eine
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