Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
wichtige Punkte besetzen und sichern. 400 Bundeswehr-Soldaten richten in der Fläche mit Dörfern, Bergen, Feldern und weiten Ebenen nicht viel aus. Sie besetzen nur Wegpunkte.
»Wenn der Feind offen angreift, würden wir ihn immer besiegen«, hat mir der Kommandeur der Task Force Kunduz Lutz Kuhn am Anfang der Mission gesagt. »Wir können mit unserer Stärke auch in jedes Gebiet vordringen. Das ist nicht unser Problem. Die Schwierigkeit ist, in ein Gebiet vorzudringen und dort auch präsent zu bleiben. Die Bevölkerung muss merken: Wir bleiben. Rein und gleich wieder raus bringt uns in diesem Konflikt, bringt uns bei Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung) nicht weiter. Alles, was wir tun, muss nachhaltig sein. Das ist auch bis zu einem gewissen Grad ein politischer Prozess. Wir müssen mit Soldaten vor Ort sein. Aber wir müssen genauso die Dorfältesten, die Führer der einzelnen Gruppen dazu bringen, dass sie uns unterstützen. Das ist Afghanistan. Allein auf weiter Flur können wir mit unserer ganzen militärischen Stärke nichts ausrichten. Rein militärisch ist dieser Konflikt nicht zu gewinnen. Und das sage ich Ihnen als Militär.«
Aufgereiht an der schon erwähnten Perlenkette in beigem Tarn gehen wir durch das menschenleere Dorf. Schröder und Wild, die vor mir gehen, blicken sich nervös um. Wir machen kurz Pause.
»360 Grad Sicherung«, ruft Schröder seinem Trupp zu. Totti übernimmt die Seitenstraße. Wild hockt sich mit Blick nach vorne hin. Chill lehnt an einer Lehmmauer und sichert nach hinten.
Schröder erklärt: »Militärisch gesehen, achte ich jetzt, auch nach fünf Monaten noch, immer auf die Abstände. Dass die Jungs die Abstände einhalten.«
»Wieso die Abstände?«, frage ich.
»Naja, wenn irgendwo was hochgeht, soll es nicht drei, vier oder fünf der Männer erwischen. Sondern dann sollen die Abstände so weit aufgelockert sein, dass da vielleicht einer verwundet … oder sonst was wird.«
Nach einer Weile belebt sich das Dorf. Die Bewohner haben gemerkt, dass die Fremden nicht hier sind, um zu kämpfen. Sie haben wahrscheinlich auch gemerkt, dass die Aufständischen sich verdrückt haben. Das ist Schröders Verdacht. Die Dorfbewohner haben abgewartet, um zu sehen, ob die Talibs, die in dem Dorf sind, angreifen oder abhauen.
Ein Fahrzeug nähert sich den Soldaten. Irgendein klappriges japanisches Fabrikat. Die Soldaten am Ende der Kolonne stoppen es und durchsuchen den Kofferraum. Zivilpersonen, die die Patrouille passieren wollen, werden grundsätzlich durchsucht.
Wir gehen weiter, ein Bach blockiert den Weg. Eigentlich kein Problem, ein lockerer Sprung. Aber wir alle tragen die 18 Kilo schwere Schutzweste, einen Rucksack mit Wasser und die Soldaten außerdem Munition, Handgranaten und ihre Waffen. Also wird eine Kette gebildet. Derjenige, der springt, wird von einem der Jungs auf der anderen Seite aufgefangen. So klappt es, keiner wird nass.
Während wir Mann für Mann über den Bach hüpfen, sichern uns nach allen Seiten Soldaten mit MGs. Sie liegen auf dem Boden und haben das Zweibein – die Stütze – ihrer Maschinengewehre ausgeklappt.
Als wir alle drüben sind und die nächsten Häuser erreicht haben, funkt Hauptmann Paul, der Nachrichten-Offizier, dass er anhalten möchte. Anscheinend hat er jemanden gefunden, mit dem er sich gerne unterhalten würde.
Schröder positioniert seine Soldaten zur Sicherung. Hauptmann Paul ruft über seinen Sprachmittler einen Afghanen heran – ich schätze um die 25, wie gesagt, schwer zu erkennen. Er geht auf Krücken, scheint eine Verletzung am Fuß zu haben. Vielleicht ist es das, was den Nachrichten-Offizier misstrauisch gemacht hat.
Pauls Auftrag ist es, den Verdächtigen zu befragen und zu registrieren. Schröder soll mit seinem Trupp den Hauptmann bei der Arbeit sichern.
Mir fällt ein, was Kommandeur Kuhn gesagt hat und was ich im »Counterinsurgency Field Manual« (Feldhandbuch Aufstandsbekämpfung) gelesen habe. Die Infanterie-Soldaten wie Schröder und sein Trupp sind notwendig, ohne sie geht hier gar nichts. Ihre klassischen militärischen Fähigkeiten – Sichern, Halten, Überwachen, Kämpfen, Marschieren – sind die Grundlage. Aber Erfolg oder Misserfolg – das liegt nicht mehr in den Händen der Soldaten am Boden. Der Konflikt hat sich verlagert. Und wer die Lage positiv sehen will, kann darin vielleicht sogar einen Fortschritt erkennen. Heute geht es um nachrichtendienstliche Tätigkeit, das Ausschalten einzelner
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