Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Fox 4 schlurfen den Gang ihres Wohnkomplexes entlang in Richtung ihres Dingos. Lustpegel: sehr niedrig. Allen geht es so. Sie machen sich einen Spaß aus ihrer Lustlosigkeit.
Körner: »Und wie geht es dir, Daniel?«
Wild: »Mir geht es sehr gut, Thorsten, Dank der Nachfrage!«
Körner: »Das freut mich, dass es dir so gut geht.«
Wild: »Und wie geht es dir?«
Körner: »Ja wunderbar!«
Am Dingo wird der Kofferraum beladen. Auftrag: Reserven aufstocken. Es geht wieder raus. Zwölf Tage Raumverantwortung außerhalb des Feldlagers.
Gruppenführer Juwe Schröder kommt dazu. Körner: »Oh, er war beim Frisör!« Im Feldlager gibt es einen afghanischen Frisör. Er heißt Hadji, ist mindestens siebzig und sieht aus wie hundert. Seine Fähigkeiten gelten als, naja, durchschnittlich. Die meisten Soldaten schneiden sich die Haare gegenseitig. Schröder hat Hadji vertraut. Seine Gruppe hat ihren Spaß dabei.
Der Dingo Foxtrott 4 fährt aus dem Feldlager raus, und schon macht sich mein Magen bemerkbar. Aber immerhin – mit jedem Mal deutlich weniger. Aus den selbstinstallierten Boxen im Dingo schallt: Jessie, paint your pictures ’bout how it’s gonna be …
by now I should know better your dreams are never free.. Ich finde das skurril. Schnulzen von One-Hit-Wonder Joshua Kadison. Jessie! »Abgefahren«, denke ich. Das Lied habe ich das letzte Mal mit dreizehn auf einer Engtanzparty gehört. Achtzehn Jahre später bin in Kunduz, alles andere als eine Engtanzparty. Hätte ich mit dreizehn auch nicht gedacht. Kopfkino mal anders.
Normalerweise läuft bei Foxtrott 4 die Playlist von Daniel »Gina« Wild. Die ist weniger romantisch. Die Atzen, Frauenarzt und andere Schweinereien. Wild und Körner singen dann mit, sie lieben die eingängigen, absolut versauten Songs. Schröder und ich hassen sie, Chill ist es egal. Der konzentriert sich als unser Fahrer auf die Straße. Manchmal interveniert Schröder und will, per Order des Mufti, Rockklassiker wie ACDC, Nirvana, Metallica oder auch norddeutschen Hip Hop von den Absoluten Beginnern und Samy Deluxe aus Hamburg. Das sind für mich dann die besten Fahrten. Ich bin in Kunduz und höre Musik aus meinen Teenagerjahren. Musik von den Beginnern aus meiner Heimat Hamburg: Wir sind am Start, und die Welt ist groß. Wir ham kein Ziel, aber wir fahr’n los. Unser Zug ist abgefahr’n –doch wir sitzen drin … , da entspannt sich sogar mein Magen.
Aber jetzt läuft Jessie, paint your pictures.… Obwohl der Song so schmalzig ist, dass es trieft, sagt keiner der harten Soldaten etwas. Alle genießen die musikalische Harmonie. Selbst Wild wippt friedlich mit dem Kopf. Ich frage ihn, was die knapp fünf Monate mit der Gruppe gemacht haben.
»Die Veränderung merkt man bei uns schon. Es ist viel lockerer geworden.« »Gina« Wild ist erst seit eineinhalb Jahren bei der Bundeswehr und schon in Kunduz.
»In unserer Gruppe, das ist wie eine Freundschaft. Nicht mehr das Militärische, wie ›guten Tag, Herr Oberfeldwebel‹, so dienstlich angespannt. Hier im Einsatz ist es so locker geworden, das kann ich mir in Deutschland gar nicht vorstellen.«
Während wir durch Kunduz fahren, holt Körner ein Kartenspiel heraus. Sein Bruder hat es geschickt. Auf jeder Karte eine nackte Frau. Die Busengröße schwillt mit dem Kartenwert kontinuierlich an. Ein willkommener Anblick. Wild: »Schau dir mal die Dinger an!«
In diesem Moment in ihrem Dingo sind die Soldaten der Gruppe Foxtrott 4 einfach nur Jungs. Für einen Moment lassen sie alles Schwere, alles Ernsthafte fallen. Freuen sich über weibliche Brüste, lachen, nehmen sich gegenseitig auf den Arm und wippen ihre Köpfe zu schnulzigen Liedern. Frauenfeindlich? Ach was. Simple Entspannung eben. Wäre eine Soldatin unter uns – in der Kompanie sind auch fünf Frauen im Einsatz –, bliebe das Kartenspiel im Feldlager. Aber hier sind die Männer unter sich. In diesem Moment muss keiner den harten Kerl markieren. Und auch ich, mittendrin, mache halblang, vergesse die Bedrohung, vergesse sogar das kritische Beobachten. Die Musik ist friedlich, wir kichern, wir schauen uns nackte Mädchen an. Draußen ist Kunduz, aber drinnen sind wir.
Da ruft »Juwe« Schröder zur Ordnung: »Jungs, achtet auf eure Beobachtungsbereiche. Totti, Waffe nach links!«
»Totti«: »Waffe ist links.«
Es wird wieder ruhiger im Dingo. Nur der Funk rauscht hin und wieder. Und aus der Box kommt das nächste Lied: Übernimm die Wacht ,
bring mich durch die
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