Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Kunduz sei. Ob es einen guten Braten gäbe.
Chill: »Das Essen kommt erst noch. Ich glaub, es gibt Entenbrust.«
Darauf die Weihnachts-Weisheit der Schwiegermutter: »Hauptsache Fleeeeisch.«
Chill: »Richtig. Hauptsache Fleisch.«
Chills Schwiegervater interveniert.
»Muddi, jetzt lass doch die beiden mal sprechen.«
Chill und seine Verlobte tauschen noch ein paar Zärtlichkeiten aus.
Chill: »Macht’s gut.«
Verlobte: »Ich lieb dich.«
Chill: »Ja, ich hab dich auch lieb, meine Süße.«
Später sitzen wir in einem Gemeinschaftsraum des Feldlagers Kunduz. Der Raum ist bieder-deutsch-weihnachtlich geschmückt. Christbaum, unter dem Baum verpackte Geschenke, Girlanden hängen, und rote Decken liegen auf den Tischen. Die Soldaten sitzen, teils leicht genervt, teils gut gelaunt an Bierbänken. So mancher hat sicher keinen Bock auf diese Weihnachtsrituale in Afghanistan. »Ausfallen lassen. Wenn wir hier sind, muss man es auch nicht feiern. Bullshit«, sagt einer. Er hat ja Recht, es fällt schwer, hier Heiligabend-Kerzenschein-Gefühle zu entwickeln. Aber die Bundeswehr würde das liebste aller deutschen Feste auch in Afghanistan niemals ausfallen lassen.
Und so trägt Hauptmann Schellenberger den Soldaten denn zur Stillen Nacht auch aus der Bibel vor: Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.
Ich schaue in die Runde der Soldaten, während der junge Hauptmann von der Geburt Jesu Christi berichtet. Manche sind gelangweilt, andere tun gelangweilt, und bei noch anderen merkt man, dass die Weihnachtsgeschichte für sie dazugehört. Der zwischen Irritation und Gefühligkeit wechselnde Blick auf ihren Gesichtern zeigt, dass sie die zwei Dinge nicht zusammenbringen: Weihnachten und Kunduz.
Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger …
Zugführer Isensee blickt in Gedanken versunken auf den Boden. Später erzählt er mir: »Mein Schwiegervater ist Pastor. Aber ganz ehrlich: Ich kann mit dem christlichen Kram nicht so viel anfangen. Weihnachten in Deutschland ist ja schön. Auch für die Kinder. Aber hier? Komm, was soll das?«
Nach der Geschichte geht es rüber zur Kantine. Auch hier alles festlich geschmückt. Baum, rote Decken, Kerzen auf den Tischen. Chill und Körner stehen in der Schlange zur Ausgabe des Festessens an. Ich stehe hinter ihnen und hundert weiteren Soldaten. Mein Tablett in der Hand, warte ich, hinter mir Schröder mit seinem Tablett. Es gibt Entenbrust mit Rotkohl und Knödeln. Ein ordentliches Weihnachtsessen, finde ich und habe Chills Schwiegermutter im Ohr: »Hauptsache Fleeeisch!« Das Küchenpersonal ist Santa-Claus-mäßig mit roten Mützen geschmückt und klatscht uns mit einem mehr oder weniger herzlichen »Frohe Weihnachten« das Essen auf die Teller. Wir setzen uns – wirklich nett, die geschmückten Tische –, und die Entenbrust mit Rotkohl schmeckt wunderbar. Das beste Essen seit Wochen. Und trotzdem scheinen die wenigsten es zu genießen. Die meisten essen schnell und gehen schnell wieder. »Passt scho«, sagen die Bayern. Zur Heiligen Nacht im Feldlager Kunduz würden sie sagen: »Passt net.«
Neujahrskater
Am nächsten Morgen fahren wir wieder ins Polizeihauptquartier Chahar Darreh. Der Foxtrott-Zug hat den Auftrag, eine Woche lang das Polizeihauptquartier zu halten. Dort präsent zu sein und den Wachturm zu besetzen. Verglichen mit den vergangenen Wochen ein entspannter Auftrag. Ich betone noch mal: Die Maßstäbe verschieben sich. Nach fünfeinhalb Monaten ist das Feldlager für die Soldaten purer Luxus, das PHQ völlig in Ordnung, selbst die Höhe 432 war irgendwann okay. Safe House nicht so gut. Richtig mies wird es aus Sicht der Soldaten erst, wenn man neben dem Dingo unter der Plane pennt und noch nicht mal ein Dixi hat. Maßstäbe verschieben sich.
Polizeihauptquartier Chahar Darreh, 31. Dezember 2011
In dem Raum, wo die Mannschaftsdienstgrade und ich untergebracht sind, sitzen Chill und Körner vor einem Laptop. Von meiner Gruppe schlafen alle außer Schröder (Juwe, Oberfeldwebel, also
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