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Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)

Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)

Titel: Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Schnitt
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Unteroffizier) hier drin.
    Ich schaue ihnen kurz über die Schulter und sehe einen Schwarz-weiß-Film, den ich kenne. Ich höre: »Same procedure as every year, James!« Die beiden halten bewährte Traditionen in Kunduz aufrecht und gucken »Dinner for One«. Ich gucke mit. Wir lachen an den altgewohnten Stellen, dankbar über jedes Stolpern des zunehmend besoffenen James.
    »Totti« beim Abspann: »Jedes Mal wieder genial, oder?«
    Chill: »Ein Stückchen Deutschland zu Silvester, da gehört ›same procedure‹ einfach dazu.«
    Es ist fast 00:00 Uhr. Die Soldaten sammeln sich im Hof. Zwei Sanitäterinnen stehen da mit Wunderkerzen in der Hand.
    Schröder: »Wunderkerzen sind schwul.« Und gleich noch mal Schröder: »Weihnachten, Silvester für den Arsch!« Keiner widerspricht. Der Mann hat ja Recht.
    00:00 Uhr. Absolute Ruhe. Komplette Stille. Keine Rakete, kein Böller. Nur »schwule« Wunderkerzen. Die Afghanen feiern unser Neujahr nicht. Das leiseste Silvester, das ich je erlebt habe.
    Die Soldaten stoßen mit einem halben Glas Sekt an: »Frohes Neues.«
    Chill sagt: »Für mich war schon Anfang des Jahres klar, im Grunde sind Weihnachten und Silvester gestrichen. Das ist ein ganz normaler Arbeitstag, dann ist mal fünf Minuten Silvester, wo wir anstoßen. Und dann geht es ganz normal weiter.«
    Am Neujahrsmorgen fährt der Foxtrott-Zug wieder in Richtung Nawabad. Alle in unserem Dingo haben Neujahrskater, ohne getrunken zu haben. 1. Januar 2012 in Afghanistan. Wetter trist, Stimmung mäßig. Wir werden ein neues Safe House bei Nawabad besetzen, diesmal viel näher an der Ortschaft. Auftrag des Zuges ist es, den Bau eines Vorpostens zu überwachen. Dort sollen Einheiten der afghanischen Polizei stationiert werden.
    Etwa zwei Kilometer vor dem Safe House machen wir einen Stopp. An der Kreuzung, vor der wir jetzt stehen, wurde letzte Woche eine Sprengfalle gefunden. Die Stelle soll überprüft werden. Die EODs steigen aus ihren Fahrzeugen und tasten den Boden der Kreuzung mit ihren Sonden ab. Wir laufen links und rechts von ihnen. Die Soldaten suchen nach Kabeln im Boden oder nach anderen Anzeichen für eine IED. Wir erreichen das Safe House ohne Fund.
    Immerhin leben wir in diesem Safe House in Zelten und nicht unter Planen neben den Fahrzeugen. In dem Bereich gibt es – angenehme Überraschung – vier Dixi-Klos. Der Tagesablauf ist eintönig. Bei Helligkeit kurze Patrouillen zur Baustelle des Vorpostens, in der Nacht muss jeder Soldat über die Nachtsichtoptik der Fahrzeuge drei Stunden lang die Umgebung überwachen. In der Restzeit gucken wir DVDs auf den Laptops im Zelt. Drei Fahrzeuge wurden an der IED-Kreuzung zur Wache zurückgelassen. Die Mannschaft dort hat es schlechter getroffen. Die Soldaten müssen bei Regen, Wind und Kälte draußen pennen.
    Die afghanischen Polizisten, die den Vorposten nach Fertigstellung beziehen sollen, leben mit uns im Safe House. Für mich verblüffend: Sie kochen jeden Abend frisch. Meistens kaufen sie sich ein lebendes Huhn von den Dorfbewohnern, schlachten es und kochen es dann mit allem Drum und Dran: Zwiebeln, Knoblauch, Paprikapulver und Tomaten. Da ich allmählich Brechreiz bekomme, wenn ich an das EPa denke, drücke ich einem der Polizisten fünf Dollar in die Hand und lasse ihn ein Huhn mehr kaufen. So kommen »meine« Jungs und ich in den Genuss eines frischen, heißen und afghanischen Abendessens. Das Huhn schmeckt herrlich, mit Fladenbrot sauge ich den letzten Tropfen Fett vom Teller. Während des Essens spielt einer der Polizisten auf der afghanischen Version einer Gitarre. Ein paar von ihnen singen mit. Sie singen traurige Lieder vom Krieg, von Frauen, die zu Hause bleiben, und Männern, die nicht zurückkehren. So übersetzt es mir der Sprachmittler. So nah wie an diesem Abend waren wir den afghanischen Sicherheitspartnern noch nie. Beinahe vertraut fühlt sich das an. Ein Polizist zeigt mir seine Narben unter der Uniform. Viele Schnitte und kleine Löcher übersäen seinen Oberkörper. Dann zeigt er mir Fotos auf seinem Handy von dem Fahrzeug, in dem er saß, als die IED explodierte. Er hasst die Taliban aus rein persönlichen Gründen. Ob die Deutschen hier etwas bewirken können? Er weicht aus. Die Deutschen seien in Ordnung, aber die Amerikaner, die will er nicht sehen in seinem Land.
    Ich frage den Chef der Polizeigruppe nach seiner Meinung zur Regierung in Kabul. Er antwortet mit einer alten Anekdote aus der Zeit, in der Afghanistan noch einen König

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