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Fränkisch Schafkopf

Fränkisch Schafkopf

Titel: Fränkisch Schafkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Kirsch
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Klingelknopf drücken konnte, riss eine circa fünfzigjährige Frau die Haustür auf. Die Ähnlichkeit mit dem Toten sprang ins Auge: das schmale Gesicht, die fein gezeichneten Gesichtszüge, die blauen Augen, das hellblonde Haar, das wild und verwuschelt aussah, aber sicher das Kunstwerk eines teuren Innenstadt-Coiffeurs war, eine kompliziert zerzauste Föhnhaube, wie sie jetzt in Nürnberg so Mode war. Langbeinig, schmal und schön, wie eine Lucas-Cranach-Figur. Und mit den dunkelblauen Markenjeans und der weißen Seidenbluse auch sehr stilsicher gekleidet. Um den Hals und an den Handgelenken klirrte viel Silber und Platin.
    Â»Sie sind die zwei Damen von der Polizei?« Ihre Stimme war so kühl wie ihr bemühtes Stewardessen-Lächeln. Ein Lächeln wie ein Sorbet – halbgefroren.
    Paula nickte und zog den Dienstausweis aus der Jackentasche. Sie durften eintreten und wurden in das Wohnzimmer geführt, das mit einem gekonnten Stilmix aus englischen Antiquitäten und einer derzeit so angesagten Sitzlandschaft – ein schnörkelloses Sofa plus zwei tiefe Sessel aus weißem Woll-Musselin, wahrscheinlich aus Italien – möbliert war. Das Zimmer hatte jene schicke Modernität, die Paula nur aus Magazinen kannte.
    Auf dem Kaminsims standen mehrere Fotos in gehämmerten Silberrahmen, die zwei junge, ebenfalls schmale Männer zeigten. Mal zu Pferd, mal mit Golfschläger, mal in weißem Tennisdress.
    Â»Das sind meine Söhne«, reagierte Monika Harrer auf ihren interessierten Blick, und ihr Stolz war unüberhörbar. »Beide sind sehr sportlich und haben schon etliche Preise gewonnen. Das da«, sie deutete auf das größte Bild der Galerie, das einen blonden Burschen mit einem Glaspokal zeigte, und mit jedem Wort gewann ihre Stimme an Wärme und das Lächeln an Herzlichkeit, »ist Tobias nach den Jugendmeisterschaften 2008. Sebastian ist auf dem Court auch gut, aber seine wirkliche Stärke ist …«
    Â»Sie wissen, warum wir hier sind, Frau Harrer?«, unterbrach Paula sie.
    Â»Ja. Seinetwegen. Man hat ihn umgebracht. Das sagten Sie mir doch am Telefon, Frau Brunner, oder?«
    Â»So ist es. Ich denke, Sie sind seine nächste Verwandte. Oder täusche ich mich da?«
    Â»Das ist richtig. Meine Eltern sind schon seit einigen Jahren tot, eine Ehefrau oder gar Kinder hatte er nicht, und ich bin seine einzige Schwester.«
    Â»Dürfen wir Platz nehmen?«
    Als Antwort erhielt Paula von Frau Harrer lediglich eine Handbewegung, mit der diese vage in Richtung des großen Esstischs aus Mahagoniholz wies.
    Nachdem sie sich gesetzt hatten, fragte sie: »›Meine‹ Eltern, sagten Sie. Heißt es, es sind nicht auch die von Ihrem Bruder?«
    Â»Doch, schon. Aber sie waren ihm genauso egal, wie ich es gewesen bin. Ich war diejenige, die sich ausschließlich«, betonte sie, »um sie gekümmert hat, auch und gerade dann, als sie alt wurden und der Hilfe bedurften. Er dagegen hatte sich vollständig von unserem Familienleben zurückgezogen, schon seit Jahrzehnten. Er war weder für mich ein Bruder noch für meine Eltern ein Sohn. Darum wohl habe ich mich so ausgedrückt.«
    Â»Das klingt, als ob Sie mir nichts über ihn sagen könnten. Über seinen Umgang, ob der Feinde hatte, wie er sein Leben gestaltete oder Ähnliches?«
    Â»Da vermuten Sie richtig. In diesem Punkt kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Aber ich denke«, sagte Monika Harrer nun wieder mit schockgefrosteter Stimme, »sein Leben wird auch in den vergangenen Jahren so verlaufen sein wie vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren.«
    Â»Ach, dann erzählen Sie mir doch einfach das, was Sie von dieser Zeit noch wissen. Wie hat Ihr Bruder damals gelebt, was war ihm wichtig?«
    Â»Wichtig war ihm schon immer, bereits als Teenager, seine Musik, falls man das überhaupt als Musik bezeichnen kann. Die stand an erster Stelle. Danach kam lange nichts. Sein ganzes Geld gab er dafür aus. Ich weiß nicht, wo er die letzten Jahre gelebt hat, aber seine Nachbarn beneide ich nicht. Denn ich fürchte, er wird nach wie vor den lieben langen Tag exzessiv Musik gehört haben, und das nicht eben leise. Rockmusik muss man laut hören, sagte er immer, wenn es uns, den Eltern und mir, zu bunt wurde. Alles andere sei Quatsch.«
    Â»War Ihr Bruder denn nicht berufstätig?«
    Â»Auch das entzieht sich meiner

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