Fränkisch Schafkopf
aufeinandergepressten Lippen starrte sie sekundenlang aus dem Fenster.
SchlieÃlich schien sie sich wieder gefangen zu haben. »Wenn es denn sein muss«, sagte sie leise und bar aller Gefühlsregung. Eine Antwort, die aus dem engen Flaschenhals der Konvention entwich.
Sie schraubte sich aus dem Stuhl empor. »Und jetzt darf ich Sie bitten zu gehen. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Bevor Paula Steiner und Eva Brunner an der Gartenpforte angelangt waren, war die Haustür schon ins Schloss gefallen.
Als sie am Mögeldorfer Friedhof entlangfuhren, fragte Eva Brunner: »Glauben Sie das, dass der Jakobsohn seine Neffen seit Jahren nicht mehr gesehen hat? Also, ich nehme ihr das nicht ab. Die haben sich bestimmt ab und zu mit ihrem Onkel getroffen.«
»Hm, ich weià nicht. Sie haben doch auch die Bilder auf dem Kamin gesehen. Diese Familie inklusive der Söhne hatte so ganz andere Interessen als unser Opfer. Ihm war die Musik wichtig, und das war keine wohltemperierte Klassik oder irgendein Dudel-Jazz, sondern harter, lauter, skandalöser, erregender Rock«, geriet sie ins Schwärmen. »Die Harrers dagegen sind hauptsächlich am sportlichen Erfolg der Söhne interessiert. Und auch sehr an deren gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Erfolg. Dieser Tobias und sein Bruder sind doch bestimmt von frühester Kindheit an darauf gedrillt worden, einmal Leistungsträger zu werden, einmal ganz oben mitmischen zu können.«
Und da das selbst in ihren Ohren voreingenommen, ein klein wenig nach Schubladendenken klang, fügte sie noch hinzu: »Das sind eben zwei unterschiedliche Lebensentwürfe ohne jeden Berührungspunkt miteinander.«
»Trotzdem«, beharrte die Jungpolizistin, »jeder möchte doch seine Verwandten ab und zu sehen. Ich glaube, die Neffen und ihr Onkel haben sich schon gelegentlich getroffen. Anders kann ich mir das nicht vorstellen.«
»Ich mir schon, sehr gut sogar. Ich habe auch einen Bruder, Frau Brunner, den ich seit«, sie rechnete nach, »fast zwanzig Jahren weder gesehen noch gesprochen habe. Und das wird auch in Zukunft so bleiben. Ich möchte keinen Kontakt mit ihm haben, wirklich nicht. Und uns hat keine Erbschaft auseinandergebracht, sondern nur eine abgrundtiefe Abneigung. Auf beiden Seiten übrigens.«
»Ehrlich?«, fragte Eva Brunner erstaunt. »Das verstehe ich nicht, Frau Steiner. Wissen Sie, ich bin ein Einzelkind, mein ganzes Leben habe ich mich nach einem Bruder oder einer Schwester gesehnt. Freunde sind doch etwas ganz anderes als Geschwister, das kann man gar nicht miteinander vergleichen.«
»Genau, so ist es, da haben Sie völlig recht. Freunde kann man sich nämlich aussuchen, Geschwister nicht. Leider nicht. Ich habe das oft bedauert.«
Dann legte sie noch im Brustton der Ãberzeugung nach: »Und Ulrich Jakobsohn sicher genauso oft.«
»Und seine Schwester auch«, ergänzte Eva Brunner. »So wie die über den hergezogen hat. Die hat ja kein gutes Haar an dem gelassen. Kein einziges.«
5
Monika Harrer sollte sie auch die restliche Strecke bis zur Einfahrt zum Präsidium in Gedanken begleiten. Kein einziges Mal hatte sie ihren Bruder beim Namen genannt. Immer nur »er« und »dieser Mensch«. Rückblickend erkannte Paula die Anstrengung, die einem so etwas abverlangt. Warum hatte die Schwester sich diese Mühe gemacht? Sie musste ihn abgrundtief gehasst haben und immer noch hassen, eine andere Erklärung für ein solch auffälliges Verhalten gab es nicht. Und das nur deswegen, weil Jakobsohn auf seinem Erbteil bestanden hatte?
Daneben nagte das vage Gefühl an ihr, etwas Entscheidendes verpasst zu haben. Als sie in den Parkplatz hinter dem Jakobsplatz einbog, fiel ihr ein, was das war. Verärgert rief sie aus: »Jetzt haben wir den Weberknecht vergessen. Warum haben Sie mich denn nicht daran erinnert, zum Donnerwetter?«
»Ich dachte halt, Sie hätten es sich unterwegs anders überlegt.«
»Nein, habe ich nicht. Also, wo wohnt er? Und was hat Ihre Recherche über ihn zutage gebracht?«
»Nichts Besonderes. Er ist Grundschullehrer. In der Volksschule Altenfurt. Da aber jetzt Schulferien sind, werden wir ihn da kaum erreichen. Vielleicht ist er ja daheim.«
Während Eva Brunner die Nummer wählte, tat Paula der Rüffel von eben bereits leid. Ein wenig, nicht sehr. Eine Entschuldigung fand sie dafür nicht
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