Fränkisch Schafkopf
Unaufmerksamkeit.
Sie schloss die Augen und zwang sich, ruhig und beherrscht zu bleiben. SchlieÃlich war es ja Herr Ãberall, dem sie es zu verdanken hatte, dass Heinrich noch lebte.
Dann sagte sie mit all der Freundlichkeit, die ihr im Moment zur Verfügung stand â und das war nicht übermäÃig viel: »Das heiÃt: Auch daran können Sie sich nicht erinnern.« Es sollte wie eine Frage klingen, war aber im Ton eine einzige MaÃregelung.
»Nein.« Mit einem zaghaften Lächeln schob er ein bedauerndes »Leider nicht« nach.
»Gut, dann wär es das auch schon. Irgendwann in den nächsten Tagen müssen Sie ins Präsidium kommen, um das Protokoll zu unterschreiben. Sie können jetzt gehen.«
Kurze Zeit darauf, nachdem der Pfleger das Schwesternzimmer schon verlassen hatte, kehrte er noch einmal zurück und verkündete triumphierend: »Ha, mir ist doch noch was eingefallen. Und da bin ich mir hundertprozentig sicher: Der Mann trug einen Schnauzer. Ganz bestimmt. Vielleicht, dass Ihnen das die Suche leichter macht?«
Da lächelte sie ihn an, und diesmal war es ein aufrichtiges, fast schon herzliches Lächeln. »Auf jeden Fall. Das ist doch schon mal was. Danke.« Das war gelogen. Ein Schnauzbart als singuläre Täterbeschreibung gab gar nichts her.
»Und auch dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle nochmals danken, dass Sie gerade im richtigen Augenblick nach Herrn Bartels gesehen haben und somit wahrscheinlich groÃen Schaden abgewendet haben. Vielen Dank.« Nach der Lüge sprach sie diesmal die Wahrheit.
Eine halbe Stunde später meldete sich Jörg Winkler bei ihr, er sei »bereit zur sofortigen Wachablösung der Kollegin Brunner«. Er trug seine Uniform, wozu er nicht verpflichtet war und was sie als eine Art Reverenz vor Heinrich deutete. Oder überinterpretierte sie seinen Aufzug? Auf jeden Fall schien er nicht verärgert oder gar unwillig zu sein über diese Verpflichtung zu einem derart öden und so gar nicht beförderungsnützlichen Dienst. Also musste Fleischmann ihm das Wacheschieben auf irgendeine Art und Weise schmackhaft gemacht haben. Aber auf welche?
Eine weitere halbe Stunde später hatte Winkler vor Heinrichs Zimmer Platz genommen, wovon sie sich selbst überzeugt hatte, und sie kurz nach Heinrich gesehen. Dann bat sie um eine Unterredung mit Dr. Morgenstern. Er eröffnete ihr, dass man seit gestern die Medikamentengabe beendet und bereits den ersten Aufwachversuch unternommen habe.
»Dann ist Herr Bartels ja bald wieder bei vollem Bewusstsein. Wann genau denn?«, fragte sie.
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Nicht auf die Stunde genau. Jeder Patient reagiert verschieden darauf. Aber spätestens morgen ist damit zu rechnen.«
SchlieÃlich verlieà sie mit Eva Brunner das Krankenhaus. Als sie in den BMW stiegen, zeigte sich der Himmel in eindrucksvollen Vorgewitterfarben. Graublaue Wolken, durch die helle irisierende Lichtstrahlen schnitten, lasteten auf der Stadt. Es war ein so übernatürlich schönes wie gleichzeitig abgrundtief kitschiges Bild, dass sie irritiert war. Hier die pure Ãsthetik, da die reine Geschmacklosigkeit, ging das überhaupt zusammen? Oder bildete sie sich das nur ein? Frau Brunner dazu befragen zu wollen, schien aussichtslos. Denn die starrte völlig unbeeindruckt von diesem Naturschauspiel aus dem Fenster, kopfschüttelnd und in offensichtlicher Zwietracht mit sich selbst.
6
Als sie am Friedrich-Ebert-Platz standen, sah sie kurz auf ihre Armbanduhr â schon fünf nach drei. Für ein Mittagessen in der Kantine war es zu spät.
»Sollen wir unterwegs noch irgendwo halten und etwas essen, oder können wir gleich zu diesem Eigner fahren?«
»Ich habe keinen Hunger«, antwortete Eva Brunner, »wegen mir können wir gerne weitermachen.«
»Apropos Eigner: Haben Sie sich schon seine Daten besorgt?«
»Ja, während ich vor Heinrichs Zimmer saÃ, hab ich mich schlaugemacht. Wolf-Rüdiger Eigner, sechsundfünfzig Jahre, ledig, keine Vorgänge. Wohnhaft in der Steuerwald-Landmann-StraÃe. Die ist in St. Jobst, wenn Sie also â¦Â«
»Die Steuerwald-Landmann-StraÃe kenne ich gut«, unterbrach Paula sie, »meine Mutter wohnt dort in der Nähe.«
Auf dem Weg in den Nürnberger Osten herrschte in dem BMW grüblerisches Schweigen. Erst als Paula den Wagen
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