Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
können die anderen im Dorf einem das Leben auch nicht sonderlich schwer machen. Früher war hier im Hof ein Lautsprecher angebracht, wenn Wind aufkommt, neigt sich das Gras, also wurden wir zusammengetrommelt und auf Versammlungen belehrt. Über zwanzig »Schurken«, die von einem Dutzend Basiskader und Volksmilizionäre beaufsichtigt wurden. Hier, schau dir die kleine Bank an, auf der ich sitze, die habe ich damals in der Zeit der Agrarreform zusammengenagelt, sehr solide, da rutschte ich nun schon siebenundvierzig Jahre mit dem Hintern drauf herum, die ist glatter poliert als manche Steinbank. Schau her, man kann sich fast darin spiegeln, wenn ich darauf sitze, kann ich das Kinn zwischen die Knie stecken. Bei kleineren Kampagnen gab es im Dorf zwei, drei Versammlungen, das war genug. Wenn die Kampagnen sich auswuchsen, mussten Basiskader und Miliz uns ein Dutzend Meilen über Bergwege zur Versammlung bei der Volkskommune führen. Das war ein Bild! Zehntausende von Menschen, auf einer Bühne, in zwei Reihen, die führenden Kader, vor der Bühne die Grundherren und Rechtsabweichler, über hundert Leute, die man dort für Stunden stehen ließ. Jeder einzelne Führungskader hielt eine lange Rede, über die national und international gute Lage, über die Umsetzung des Geistes der Zentralkomitees, dann kamen sie wieder zurück zu Provinz und Kreis, schließlich zur Volkskommune und konkret zu ihrer Produktion, ihren Klassen und ihrem Klassenkampf. Solche Versammlungen dauerten manchmal drei Tage, kaum war es hell, stand man auf, röstete sich einen Maisfladen und versuchte alles, um etwas in den Magen zu bekommen. Dann setzte man sich mit ein paar Maisfladen auf die Türschwelle und wartete auf eine Durchsage. So ging man aus dem Haus und konnte erst, wenn es finster war, wieder zurück. Hauptsache, es wurden keine Gaslaternen angezündet und Fackelversammlungen abgehalten, dann war das schon wie ein Feiertag.
In den fünfziger Jahren war ich schon über vierzig, ich hatte lange Zeit viel getragen, auf Schultern und Rücken, meine Gesundheit war stabil, sie konnten mich zur Strafe so lange stehen lassen, wie sie wollten, ich habe nicht mit der Wimper gezuckt. Aber ich wurde von Tag zu Tag älter, und irgendwann machte das Kreuz nicht mehr mit. Tag für Tag versteckte ich mich, bis in den siebziger Jahren die Kampagnen ihren Höhepunkt überschritten, ein Glück, wir wurden seltener der Kommune vorgeführt, und wenn es doch vorkam, dann wurden uns Pausen erlaubt und ein Gang zur Toilette, manchmal durften wir uns sogar setzen. Im Großen und Ganzen wurde die Haltung gegenüber Grundbesitzern um vieles besser, man wagte es sogar wieder, einmal bei mir vorbeizuschauen, und die Verwandtschaft und Bekanntschaft im Dorf, na, wenn sich die Berge nicht wandeln, das Wasser wandelt sich, und wenn es ein paar Jahrzehnte nur aus der einen Ecke geweht hatte, jetzt kam die Zeit, wo sich auch das wandelte.
LIAO YIWU:
Als ich klein war, lud meine Schule arme und mittlere Bauern ein, die voller Bitterkeit und Feindschaft den Kindern erzählten, wie gut sie es heute hatten und wie schlimm es früher gewesen war, wobei sie in der Erinnerung das Leid noch einmal erlebten. Wir waren voller Hass auf die Grundbesitzer, vor allem, als wir in der Hauptstadt ein Mietshaus des tyrannischen Grundbesitzers Liu Wencai besichtigt hatten. Wir hassten die Ausbeutung, wir wollten nicht zurück in die alte Gesellschaft, mit ihrem Leid und ihrem Unrecht – was denkt Ihr über unseren Klassenstandpunkt von damals? Wollt Ihr eine Restauration, zurück zu den Zuständen vor der Befreiung?
ZHOU SHUDE:
Du bist ein kluger Mann, aber war ein Klassenkampf nötig, um jemanden wie mich fertig zu machen? Das ist doch längst überholt. Mir wurde 1979 die Mütze des Grundherren abgenommen, dafür bin ich Deng Xiaoping und der Öffnungs- und Reformpolitik der Kommunistischen Partei sehr dankbar, sie hat mir eine zweite Chance gegeben. Wenn es Fehler gegeben hat, dann mussten sie korrigiert werden. Aber natürlich habe ich keinen so großen Atem, dass ich es wagen würde, das der Kommunistischen Partei zu sagen, ich meine, wenn ich einen Fehler gemacht habe, dann musste er korrigiert werden. Aber in welcher Hinsicht war das Leben der Grundherren vor der Befreiung denn besser als unser Leben heute? Wir haben elektrisches Licht, Fernsehen, wir können Fleisch essen, wann immer wir wollen, die Lebenserwartung ist gestiegen, man braucht zu Hause nur ein wenig
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